Liebende für eine Nacht
In deinem glatten Haar glänzt noch mein
Fieberschweiß der letzen Nacht, Fieber nicht als Krankheit;
Fieber als Extase. Deine weiße Haut erzählt von Zärtlichkeit,
die dir widerfuhr, Zärtlichkeit, von der du nichts wusstest.
Diese Haut... So weiß... Sie wird Eins mit dem Kleid, das du trägst.
Dein Gesicht, lieblich, unschuldig, wie das eines Engels, bedeckt
mit unsichtbaren Küssen, die du nicht gespürt hast. Der
Frieden, den du ausstrahlst, erfüllt den Raum, erfüllt mein
Herz, erfüllt die Welt.
Deine fahle Haut ist kalt, das Blut, das
dein wunderschönes Gesicht hinunterlief, ist verschwunden. Du
bist wieder makellos.
So viele Jahre habe ich mich nach deiner Nähe
gesehnt, habe jede Nacht von deinem Kuss geträumt und du hast
nicht einmal gespürt, dass ich ihn dir gegeben habe. Regungslos-
willenlos hast du dagelegen, mich nicht angesehen, weil
deine Augen schon in eine andere Welt blicken, in eine Welt ohne
Schmerz, Hass, Wut, Einsamkeit und ohne mich. Eine Welt ohne die
Liebe, von der du nie wusstest. Dein Lächeln ist erfroren, doch
das macht nichts. Es galt nie mir.
Du hast nicht einmal gewusst, wer ich bin
und du wirst niemals erfahren, dass es mich gab, doch ich habe
dich geliebt und ich werde dich immer lieben; immer und in allen
Zeiten, auch wenn du es nie erfahren wirst.
Als ich dich zum ersten Mal sah, war es
Sommer, es war warm und die Sonnenstrahlen verfingen sich in
deinem Haar. Du gingst durch diesen sonnendurchfluteten Park,
zusammen mit einer Freundin und ich saß voll stummer Bewunderung
auf einer Bank im Schatten der Bäume. Du hast mich nicht
gesehen, doch ich konnte meinen Blick nicht von dir abwenden. Du
warst so wunderschön und ich wünschte, die Zeit würde stehen
bleiben und deinen Glanz unvergänglich machen.
Von diesem Tag an bin ich oft im Park
gewesen und habe dich angesehen, deine Einzigartigkeit tief
eingeatmet, doch du hast mich nie gesehen. Im Herbst warst du
seltener im Park, doch die Hoffnung, nur einen kurzen Blick auf
dich werfen zu können, trieb mich immer wieder zu meiner Bank.
Hart waren die Winter, es hat geregnet und geschneit und ich habe
dich oft monatelang nicht gesehen, meist erst im Frühling
wieder, wenn die Natur mit all ihren Blütenknospen und dem
zarten Grün versuchte, deiner Schönheit eine würdige Kulisse
zu zaubern.
Und an einem Frühlingsmorgen geschah es.
Ich saß wie so oft auf der Bank am Rande
der Wiesen. Ich erkannte dich schon von Weitem, als du die Straße
zum Park überquertest. Ich war erfüllt von der kindlichen
Freude, die ich immer fühlte, wenn ich dich nach langer Zeit
wiedersah. Doch der LKW zerbrach mein Glück. Er erfasste dich,
riss dich ein paar Meter mit und kam dann zum Stehen. Ich stürzte
zur Straße, und mit mir noch viele andere Spaziergänger, doch
es war zu spät. Die Ärzte und Sanitäter, die bald eintrafen,
schüttelten nur stumm die Köpfe und bedeckten dich mit einem
schwarzen Tuch, ein Schwarz, das dem jungen Frühling jede Farbe
raubte. Unter dem Tuch verschwand dein engelsgleiches Gesicht,
die frischen Farben der Blumen auf deinem langen, weiten Kleid
und das Blut.
Geweint habe ich nicht. Ich wusste, der
Abschied war noch nicht endgültig. Denn am Abend sah ich dich
wieder...
Das Blut hatten sie abgewischt und dir ein
weißes Kleid angezogen. Voll stiller Schönheit lagst du
zwischen all den anderen, die bald eine neue Welt erblicken würden.
Ich wusste sofort, auf welchem Bett du lagst. Deine Anmut
strahlte hell durch das weiße Laken. Als ich es zurückzog, sah
ich dein Gesicht, wunderschön und weiß, denn der Sommer hatte
nicht die Gelegenheit gehabt, dich sanft zu bräunen. Als ich
deine kalte Haut berührte, durchfuhr es mich, wie ein Blitz.
Eine Nacht, eine einzige Nacht würdest du mir gehören!
Ich zog das weiße Kleid von dir und sah
endlich die Makellosigkeit deines Körpers, die ich bisher nur
erahnen konnte. Wie wunderschön du warst! Mit zitternden Händen
fuhr ich über deine samtweiche Haut, bedeckte deinen Körper mit
Küssen, von Kopf bis Fuß und ließ meine Zunge über deine
stummen Lippen gleiten. Du gabst dich mir ohne Gegenwehr hin, träumtest
weiter deinen Traum. Deine Augen blieben geschlossen und du
regtest dich nicht, als ich endlich eins mit dir wurde. Ein
Feuerwerk gewaltiger Emotionen explodierte in mir; endlich bekam
ich, was ich mir so viele Jahre erträumt hatte...
Jetzt siehst du wieder aus, als würdest du
schlafen. Doch dein Schlaf ist für immer. Ich werde dich jetzt
in deine neue Welt entlassen, mich von dir lösen und wieder nur
von dir träumen, wie ich es so lange getan habe. Still, ganz
still ziehe ich meine Kleider wieder an, trete hinaus in den
jungen Morgen und schließe leise die Türen, um deinen Schlaf
nicht zu stören. Die Sonne legt sanft ihr Licht auf die Gräser
und spiegelt sich im Tau zu unzähligen Sternen.
Morgen wird deine Beerdigung sein. Ich werde
nicht kommen.
Du wirst niemals wissen, dass wir Liebende
waren, Liebende für eine Nacht.