Das
Holzbein (in optima forma)
Torsten Rasmussen öffnete das Fenster und
ließ die Kühle des morgendlichen Oktobertages herein.
Er beobachtete den Himmel, an dessen
Horizont sich der erste Silberstreifen zarter Morgenröte zeigte.
Rasch verriegelte er wieder das Fenster,
streifte Jeans und Pullover über und griff nach seinem
Campcorder. Für ein paar Stunden wollte er diesen herrlichen
Herbstmorgen genießen. Später ging die Arbeit weiter: Wände
streichen, Kabel verlegen und alte morsche Deckenbalken von
Holzwürmern befreien.
Torsten packte noch etwas Proviant in seinen
Rucksack und rief nach seinem Hund Bubbel, der aufgeregte Beller
ausstieß und mit wehenden Ohren vorausrannte.
Kurze Zeit später blieb er stehen, warf
einen Blick zurück.
Einsam und verlassen wirkte das alte, halb
verfallene Gebäude, das auf den steilen Klippen über dem
tosenden Meer stand.
Es lag etwas abseits von den anderen Häusern
des Dorfes. Hochmütig sah es auf die kleine Kapelle und dem
dazugehörigen Friedhof herab.
Seit Jahrhunderten bestatteten dort die
Fischer ihre Toten, sofern sie nicht Opfer des wütenden Meeres
wurden.
Das düstere, unheimliche Anwesen, mehr eine
Kate als ein Haus, hatte er günstig erworben.
Es faszinierte ihn vom ersten Augenblick,
zog ihn an wie ein Magnet.
Das war genau die Art von Haus, das seinem
heimlichen Wunsch entsprach und jetzt war es, dank der großzügigen
Erbschaft seiner Großmutter, das Seine. Doch die Renovierung würde
noch viel Zeit und Geld in Anspruch nehmen, bis auch die letzten
Zeichen des Verfalls ausgemerzt waren.
In der Dorfchronik stand zu lesen, dass
Kapitän John McDown, dem einst dieses Haus gehörte, sich mit
den Schwarzen Mächten verbündet habe, um sein verbrecherisches
Treiben vor der Obrigkeit zu verbergen. Eines Tages verschwand
er, kam nie wieder zurück. Jahrzehnte blieb der Besitz
herrenlos, auch spätere wechselten ständig, und man munkelte,
dass der alte John in Vollmondnächten durch die Klippen geistere.
Oft sei er gesehen worden, wie er mit seinem
Holzbein am Stand entlang hinkte und Ausschau nach dem legendären
Schwarzen Schiff hielt, das alle Strände dieser Welt anlief, um
die Verdammten auf seiner nie endenden Reise aufzunehmen.
Torsten fand diese Sage aufregend, sie
inspirierte ihn, ließ ihn wohlig erschauern.
Am Ende der Klippen blieb er stehen.
Tief unter ihm rollten die lila-blau
schillernden Wellen ans Ufer, brachen sich an den Felsen,
gischteten hoch und tänzelten schaumbekränzt wieder zurück.
Langsam schwenkte er die Kamera von rechts
nach links, machte Aufnahmen vom Himmel und seinen Spiegelungen
im Wasser. Ein strahlender Streifen durchbrach die Schichten des
hellblauen Himmels und verfärbte sich zu einem pulsierendem Gold.
Aber innerhalb weniger Minuten verwandelte
sich der spektakuläre Sonnenaufgang zu einem ganz normalen Tag.
Torsten stellte die Campcorder ab und ließ
den Blick umhergleiten. In Gedanken versunken und voller Pläne für
eine eigene, neue Gemäldeausstellung, erkundete er mit Bubbel
die Gegend. Diese Aussicht bot Inspirationen für Hunderte von
Bildern.
Ein nie gekanntes Glücksgefühl kroch in
ihm hoch.
Nur schwer konnte er sich von diesem Anblick
losreißen.
Unmerklich verdüsterte sich der strahlende
Tag.
Ein eisiger Ostwind blies die schweren, mit
Regen gefüllten Wolken über den bleigrauen Himmel.
Torsten pfiff nach Bubble. In der Ferne hörte
er sein heiseres Bellen doch der Hund kam nicht.
Ärgerlich kickte er einen Stein vor sich
her und beförderte ihn im hohen Bogen ins Meer.
*****
Torsten schulterte den Rucksack und ging
schon mal vor. Sein Hund würde den Weg auch ohne ihn nach Hause
finden.
Er betrat die ausgetretenen, glitschigen
Steinstufen, die vom Strand die Böschung hinauf zu seinem Haus führten.
Sie zwangen ihn, kleinen Felsvorsprüngen und Pfützen
auszuweichen. Gleichzeitig war dies auch der einzige Weg, der auf
halber Höhe, wo die Klippen allmählich niedriger wurden, zum
Friedhof führten.
Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen,
so, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer geknallt.
Irritiert blickte er sich um.
In eine Felsspalte geschmiegt, fast gänzlich
von wildem Efeu und dornenverwickelten Brombeeren verhüllt,
stand ein uraltes Bootshaus daneben lag ein umgestürztes
Holzkreuz.
Wie ein Blitz rannte Bubbel an ihm vorbei.
Ruckartig blieb er vor dem Kreuz stehen, tänzelte mit
eingeklemmten Schwanz hin und her und fiepte ängstlich.
Blöder Kerl, murmelte Torsten
ärgerlich, hat Angst vor einem Holzkreuz. Du bist schon
ein verrücktes Vieh!
Doch das Grab, das zweifellos nicht zum
Friedhof gehörte, entfachte seine Neugier.
Vielleicht hatte er die letzte Ruhestätte
des sagenumwobenen und mythenrumrankten John McDowns entdeckt?
Aber wer hatte ihn begraben? Oder war dies nur eine Gedenkstätte?
Er ging in die Hocke, versuchte auf dem
Kreuz einen Namen zu entdecken aber da stand nichts. Er
schluckte, als er feststellte, dass die kürzere, die vertikale
Seite des Kreuzes in der Erde gesteckt haben musste.
Ein eisiger Windstoß streifte ihn wie aus
dem Nichts. Er glaubte ein heiseres Gelächter zu hören.
Beunruhigt sah er sich um. Die Abenddämmerung
in den einsamen Klippen, er stand neben dem Grab eines
Unbekannten und sein jaulender Hund, wirkte beklemmend. Die
stummen, verwitterten Zeugnisse des alten, längst vergessenes
Bootshauses und das umgestürzte Kreuz - alles Elemente, die
seine Phantasie anstachelten; dennoch spürte er, wie ihm die
Furcht mit eisigem Finger über sein Rückgrad strich.
Unwillig versuchte er diese Gefühl abzuschütteln.
Er verspürte nur noch den Drang von hier
fortzukommen.
Na los, alter Junge, lockte er
seinen Hund. Mir ist kalt und ich hab Hunger!
Doch Bubble hörte nicht. Er knurrte, lief
auf das Grab zu und fing zu graben an.
He! Lass den Scheiß, brüllte
Torsten.
Ärgerlich packte er ihn am Halsband. Doch
Bubble fletschte die Zähne, riss sich los und grub wie verrückt
weiter. Die sandige Erde spritzte im hohen Bogen nach hinten.
Er schluckte. Dass sein Hund nicht immer
gehorchte, war nichts Neues, aber dass er ihm die Zähne zeigte,
irritierte ihn völlig.
*****
Abrupt hielt Bubble inne, trottete zu seinem
Herrchen, bellte heiser und rieb den Kopf an seinem Knie.
Plötzlich blitzte in der Erde etwas auf.
Neugierig bückte er sich danach und zog
einen hölzernen, kegelförmigen Gegenstand heraus, der auf der
einen Seite ungefähr kniestark war und sich zum anderen Ende hin
verjüngte.
Mit klopfendem Herzen befreite er es von
Sand und feuchter Erde.
Wahnsinn!, murmelte er andächtig,
als er den mit metallenen Beschlägen und mit prächtigen
Schnitzereien versehenen Fund in den Händen hielt. Mit dem
Daumen rieb er darüber.
Die Beschläge waren aus purem Silber.
Die üppig verschnörkelten Initialen
glitzerten geheimnisvoll.
JMD, murmelte Torsten und fuhr
sich aufgeregt mit der Zunge über die Lippen. Ich wird
verrückt! Das ist vielleicht das Holzbein des alten John!
*****
Den Rest des Abends verbrachte Torsten
damit, seinen Fund gründlich zu säubern und zu polieren.
Stolz hob und senkte sich seine Brust, als
er es auf die Kommode in der Diele stellte. Schimmernd stand es
dort und belohnte seinen Finder durch orakelhafte Schönheit.
Erneut verspürte Torsten diesen eisigen
Hauch, der wie Spinnenbeine über seine Haut kratzte. Fröstelnd
zog er die Schultern hoch
*****
Das Grab brach von innen auf. Knochige Hände
wühlten sich nach oben, schimmerten bleich und vermodert im
seelenlosen Licht des Mondes.
Mein Bein!, winselte die
schwarze Gestalt und grub sich bis zum Brustkorb aus dem
Ackerboden.
Fassungslos starrte Torsten auf den halb
verwesenden Leichnam eines uralten Mannes mit scharf
hervorspringenden Gesichtszügen. Er war völlig kahl,
leichenblass, aber seine Augen glühten wie rote Irrlichter durch
die sternenlose Nacht.
Er öffnete seinen zahnlosen Mund und der
Geifer tropfte auf sein Kind.
Anklagend hob er seine knochige Hand, die
sich zu einer Klaue formte, und zeigte auf Torsten.
Mein Bein, fauchte er, gibs
mir zurück...
*****
Von der nahen Kirchturmuhr verhallten die
letzten mitternächtlichen Schläge. Schweißgebadet schoss
Torsten aus dem Schlaf hoch.
Schwer atmend warf er einen kurzen Blick auf
seinen Wecker. Zwölf Uhr! Das passt ja wie die Faust aufs Auge,
dachte er erleichtert, ein Albtraum zur Geisterstunde. Wurde er
durch die Glockenschläge geweckt? Seltsam, davon war er doch
noch nie wach geworden.
Erleichtert sackte er in die Kissen zurück.
Fröstelnd zog er die Decke bis zum Kinn
hoch.
Gerade als der Schlaf nach ihm griff,
glaubte er etwas zu hören? Im Nu war er wieder hellwach.
Angespannt lauschte er in die Dunkelheit.
Leise, knirschende Laute trug der Wind durch
das offene Fenster seines Schlafzimmers.
Bubbel hob seinen Kopf, fiepte leise.
Psst! Torsten legte den
Zeigefinger auf die Lippen, stieg aus dem Bett und tapste ans
Fenster.
Da! Dort unten bewegte sich etwas.... Da
schien jemand die steinernen Stufen hochzukommen oder war
das noch auf dem Friedhof?
War es ein Grabschänder, der dort zugange
war? Torsten konnte nur einen geisterhaften Schattenriss im
silbernen Schein des Mondes erkennen.
Das Blut stockte in seinen Adern. Die
Gestalt, die mühsam versuchte, die Steinstufen hochzusteigen,
glich dem Alten in seinem Albtraum.
Mein Bein!, heulte er schaurig.
Gib mir mein Bein zurück!
Winselnd sackte er zusammen und kroch auf
allen Vieren weiter genau auf sein Haus zu.
Jäh löste sich die Gestalt auf.
Das Gefühl eisiger Kälte glitt durch
seinen Körper.
Mit fahrigen Händen verriegelte er das
Fenster und sperrte die Schlafzimmertür sorgfältig ab.
Erregt lauschte er in die Stille, vernahm
das Rascheln der fast blätterlosen Bäume, die sich im Wind
wiegten. Langsam löste sich die Angst auf, wie der Nachtnebel
nach dem ersten Sonnenstrahl.
*****
Am nächsten Morgen war Torsten sich ganz
sicher, dass das nächtliche Phänomen nur seiner Phantasie
entsprungen war. Nur ein Traum. Ein Albtraum hatte mit der
Wirklichkeit absolut nichts zu tun.
Gut gelaunt briet er sich ein paar Rühreier
und blickte durch das Küchenfenster.
Größer konnte der Kontrast zum gestrigen
Tag nicht sein. Ein wütender Herbstwind pfiff um das Haus,
fetzte den Rest des Laubes aus Büschen und Bäumen.
Und mit einem Mal kam die Erinnerung des nächtlichen
Traumes, der wie Karussell durch seine Gedanken kreiste.
Grübelnd hockte er am Frühstückstisch und
überlegte, ob er sich auf den Weg zu diesem vergessenen
Bootshaus machen sollte. Vielleicht sollte man sich die Fundstätte
noch einmal bei Tageslicht ansehen?
Unwillig wischte er die Gedanken weg.
Seufzend machte er sich an die Arbeit und
versuchte, die alten Dielenbalken von Holzwürmern zu befreien.
Jäh streifte ihn ein eisigen Hauch.
Er spürte ein eigenartiges Kribbeln, und es
kam ihm vor, als wenn jemand hinter ihm stünde und seinen Blick
in seinen Nacken bohrte.
Abrupt drehte er sich um, dabei fiel sein
Blick auf die Kommode. Zwischen dem klobigen Wasserkrug und einem
handgeflochtenen Weizenkranz lehnte das Holzbein des alten John
McDown.
Torsten ignorierte dieses beklemmende Gefühl,
das ihn überfiel, als er das alte Holzbein zur Hand nahm. Er
besaß genügend kunsthistorische Kenntnisse, um zu wissen, dass
dieser Fund ein Vermögen wert war.
Fast liebkosend strich er über die kalt
schimmernden Silberbeschläge und bemerkte nicht die scharfe
Kante, die tief in seinen Finger schnitt. Die Blutstropfen rannen
am Finger herab und sickerten auf das Holzbein.
Scheiße, murmelte Torsten und
suchte im Badezimmer nach einem Pflaster.
*****
Der Wind jammerte und heulte wie ein bösartiges
Tier, peitschte über die Dächer und rüttelte an den Fensterläden.
Am nächtlichen Himmel vereinten sich die Wolken zu drohenden
Gebilden. Aufgepflockte Kürbisse mit grinsenden Dämonenfratzen
schimmerten in den Vorgärten des Dorfes.
Ein Schauer rann über Torstens Rücken, als
er in den Ort hinuntersah. Rasch ging er ums Haus und verriegelte
die auf- und zuschlagenden Fensterläden.
Von der nahen Kirchturmuhr schlug es
sechzehn Mal. Zwölf Mal für jede volle Stunde und einmal für
jede Viertelstunde.
Jäh fiel ihm das Erlebnis der letzten Nacht
ein.
Er atmete tief durch und schüttelte den
Kopf. Nein, Geister gab es nicht! Solche Wesen entsprangen nur
einer blühenden Phantasie. Und morgen war der 31. Oktober, das
Fest der Geister und Dämonen. Eine Nacht, die seit Ewigkeiten
den Menschen Furcht einflößten, wenn sich Jahr für Jahr die
Tore der Finsternis öffneten.
Der eisige Wind zauste in seinen Haaren,
fetzte an seiner Kleidung und biss durch den dicken Pullover.
Schnell eilte er ins Haus zurück und schloss ab.
Als er sich umdrehte, glaubte er das leise
Geräusch schlurfender Schritte, unterbrochen von einem Klopfen,
zu hören.
Torsten runzelte die Stirn, wandte sich
halb, als sich das Geräusch wiederholte. Wie von der Tarantel
gestochen fuhr er herum. Er spürte, dass er nicht mehr allein
war. Bubbel tänzelte um ihn herum, fiepte ängstlich und rieb
seinen Kopf an seinem Knie.
*****
Torstens Herz begann schmerzhaft zu klopfen.
Allein bei dem Gedanken, dass da etwas war,
etwas Unsichtbares, das sich ihm näherte, bereitete ihm Angst.
Da geschah etwas mit dem Licht. Der sanfte Schein der
heruntergedimmten Lampe schien mit einem Mal zu verblassen und
schwarze Schatten tanzten über die Wände.
Ha... hallo! Ist ... ist da jemand?,
rief er mit zitternder Stimme. Jeder Atemzug brannte in seiner
Kehle und in seinem Mund machte sich ein säuerlicher Geschmack
breit.
Allmählich begannen sich die Schatten zu
menschenähnlichen Umrissen zusammenzuballen.
Halb wahnsinnig vor Angst wich er zurück,
nicht fähig, den Blick von dem fremden Wesen zu lösen.
Gib mir mein Bein zurück!,
fauchte eine Stimme.
Die schattenhaften Erscheinung nahm Konturen
an, Details schälten sich heraus.
Sein Herz hämmerte schmerzhaft. Nur eine
Handbreit vor ihm entfernt stand der Alte aus seinem Albtraum. Kälte
und modriger Gestank umwehte die geisterhafte Erscheinung eines
uralten kahlköpfiger Mannes.
Scharf spannten sich die knochigen Gesichtszüge
unter dessen Haut, die wie verknittertes Pergament wirkte. Den
schmächtigen Körper umhüllte eine verschmutzte und
fadenscheinige Kapitänsuniform, deren rechtes Hosenbein
blutbesudelt und in Fetzen unterhalb des Knies in einem nach
Verwesung stinkenden Stumpf endete.
Torsten glaubte, sich übergeben zu müssen,
raffte all seinen Mut zusammen und versuchte, eine einigermaßen
selbstbewusste Haltung anzunehmen.
Wer... wer sind Sie?, stotterte
er, als ihn der Blick der roten, durchdringenden Augen traf.
Ein faunisches Lächeln grub sich in das
Gesicht des Geistes. Mein Name ist John McDown!,
zischte er und musterte ihn verschlagen. Und du, du bist
der Dieb meines Beines!
Torsten schüttelte verzweifelt den Kopf.
Ich... ich habe es gefunden!,
rechtfertigte er sich, wies auf die Kommode und stotterte: Da
steht es. Nehmen Sie es mit!
John McDown warf einen Blick auf das
Holzbein, wandte sich zu ihm um, neigte leicht den Kopf, dabei
funkelten seine roten Augen.
Torsten spürte wie das Böse zu ihm herüberwehte
und in jede Pore seines Körpers kroch.
Was hältst du von einem Pakt,
fragte McDown beiläufig.
Pakt?, wiederholte Torsten
irritiert und bemühte sich, seine Nervosität zu verbergen.
Der Alte nickte und stelzte langsam auf ihn
zu. Seine roten Augen bohrten sich in seine.
Ich mache dich berühmt, sprach
der Geist, schwieg einen Moment und fuhr dann fort: Landauf,
landab wird man über dich reden. Mehr noch: Ich verleihe dir
Unsterblichkeit!
Torstens Gedanken überschlugen sich, seine
Stimme zitterte, als er fragte: Und was...was wollen Sie
von mir?
Dein Bein!
Was?, rief Torsten entsetzt und
fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die Haare. Niemals!
Das kommt nicht...
Überlegs dir gut!,
unterbrach McDown ihn mit einer unwilligen Handbewegung. Ein
kleiner Kontrakt! Der Preis ist Unsterblichkeit!
Von einer Sekunde zur anderen begann McDown
sich aufzulösen, aber seine geisterhafte Stimme wehte noch
einmal zu Torsten hinüber:
Unsterblichkeit!
*****
Immer wieder erschien die Szene vor Torstens
Augen.
Die Luft schien erfüllt zu sein von flüsternden
Stimmen, die immer wieder dasselbe wisperten: Unsterblichkeit!
Unsterblichkeit! Unsterblichkeit!
Dieses Wort grub sich auf magische Weise in
seine Seele, fesselte ihn, zwang ihn, vergangene Niederlagen
erneut zu ertragen. Gesichter und Stimmen schienen den Raum zu
beherrschen, die ihn beschimpften, verhöhnten, auslachten.
Briefe flatterten um ihn herum, die alle Negationen seines
bisherigen Lebens bekundeten. Geplatzte Ausstellungen,
vernichtende Kritiken, das Ringen um Anerkennung als Maler, der
Kampf um das Notwendigste.
Unsterblichkeit!, murmelte
Torsten selbstvergessen und ein beharrliches Gefühl kroch in ihm
hoch.
Was wäre, wenn er sich ausschließlich
seiner Kunst widmen könnte? Er könnte seinen eigenen Stil
ausleben, Gründer einer neuen Kunstepoche werden.
Seine Werke würden in allen Kunstfakultäten
Einzug halten! Jeder würde seinen Namen kennen...
Aber der Preis! Ihn schauderte, doch
zugleich wisperte es in ihm: Unsterblichkeit für ein Bein!
Dieser Gedanke pochte wie besessen in seinen
Gedanken.
Ja, er würde es den anderen zeigen. Er würde
den Vertrag eingehen und eines Tages aufwachen eben nur
mit einem Bein. Heutzutage gab es phantastische Prothesen.
*****
In fieberhafter Erwartung sehnte Torsten
Mitternacht herbei. Die Hände in die Hosentaschen vergraben
wanderte er unruhig auf und ab, sandte einen Blick aus dem
Fenster und nahm das festliche Treiben der Halloweennacht wahr.
Das ganze Dorf schien auf den Beinen zu sein.
Hohe Feuer warfen ihre flackernden Lichter in die sternenlose
Nacht.
Buddle wich ihm nicht von der Seite. Immer
wieder tänzelte er um ihn herum und fiepte leise.
Nervös sah Torsten zur Uhr. Gleich! Gleich
war es soweit. Kaum hatte er zu Ende gedacht, erhallten die
ersten mitternächtlichen Schläge der Kirchturmuhr.
Da war es wieder, dieser eisige Hauch,
dieses schlurfende, stelzende Geräusch, das ein ambivalentes Gefühl
zwischen Erleichterung und Furcht in ihm entfachte.
Schwarze Schatten huschten über die Wände.
Das Licht verblasste. Es zog eine Dunkelheit
durch das Zimmer, die keines natürlichen Ursprungs war.
Der Hund bellte leise und verkroch sich
unter dem Schreibtisch.
Beißender Gestank wehte Torsten ins Gesicht
und raubte ihm für Sekunden den Atem. Entsetzt wich er einen
Schritt zurück, als der Geist McDowns jäh vor ihm stand.
Nun?, erkundigte sich der Alte,
neigte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn lauernd.
Er räusperte sich und hoffte, dass seine
Stimme Festigkeit vortäuschte.
Ich werde den Pakt eingehen!
Ein hämischen Glitzern zuckten in McDown
roten Augen. Bedächtig griff er in seine Jacke, zog eine Pergamentrolle
und eine schwarze Feder heraus und drückte sie Torsten in die
Hand.
Hier ist der Kontakt! Unterschreib mit
deinem Blut!, befahl er.
Mi... mit meinem Blut?,
stammelte Torsten entsetzt und geriet für kurze Zeit in Panik.
Der Geist nickte und seine krächzende
Stimme verfärbte sich mit Ungeduld.
Nur in optima forma! Und nun
unterschreib!
Zögernd ging Torsten zum Schreibtisch. In
einer kleinen Schale bewahrte er Rasierklingen auf, mit denen er
seine Kohlegriffel bei Bedarf anspitzte.
Saugend holte er tief Luft und ritzte sich
tapfer in den Zeigefinger. Das herausquellende Blut rann am
Finger herab und tropfte auf den Vertrag.
Tus nicht!, vernahm er ein
verzweifeltes Flehen.
Leicht beugte sich der Geist vor und flüsterte
eindringlich: Unsterblichkeit!
Torsten tauchte die Feder in sein Blut. Mit
energischen Zügen unterschrieb er. Kaum hatte er den letzen
Strich seines Namens vollendet, riss McDown den Vertrag an sich.
Ein triumphales Lächeln verzerrte sein verwesendes Gesicht und
seine roten Augen schienen förmlich Funken zu sprühen.
Urplötzlich blitzte etwas kurz auf.
Instinktiv versuchte Torsten noch durch einen Sprung zu entkommen.
Doch ein dunkler Schatten, der sich von der Wand löste, stieß
ihn zu Boden. In diesem Moment pfiff die blanke Axt durch die
Luft sauste auf ihn herab. Er verspürte einen brennenden höllischen
Schmerz als die Axt durch sein Bein hieb. Es schrie gellend auf.
Es sah, wie das Blut in einer dicken Fontäne aus seinem Bein
spritzte.
McDowns nahm Torstens abgehacktes Bein und
presste seinen verwesenden Stumpf darauf.
Ein dünnes, böses Grinsen spielte um McDowns Lippen. Mit
Genugtuung beobachtete er Torsten, der sich vor Qual und
Schmerzen in seinem Blut wand.
Du... du hast mir Unsterblichkeit
versprochen!, hauchte er mit letzter Kraft, dann schwanden
ihm die Sinne.
Der Alte warf den Kopf in den Nacken, lachte
und zischte: Du wolltest Unsterblichkeit! Nun, ich gab
sie dir!