Das Holzbein (in optima forma)

 

Torsten Rasmussen öffnete das Fenster und ließ die Kühle des morgendlichen Oktobertages herein.

Er beobachtete den Himmel, an dessen Horizont sich der erste Silberstreifen zarter Morgenröte zeigte.

Rasch verriegelte er wieder das Fenster, streifte Jeans und Pullover über und griff nach seinem Campcorder. Für ein paar Stunden wollte er diesen herrlichen Herbstmorgen genießen. Später ging die Arbeit weiter: Wände streichen, Kabel verlegen und  alte morsche Deckenbalken von Holzwürmern befreien.

Torsten packte noch etwas Proviant in seinen Rucksack und rief nach seinem Hund Bubbel, der aufgeregte Beller ausstieß und mit wehenden Ohren vorausrannte.

Kurze Zeit später blieb er stehen,  warf einen Blick zurück.

Einsam und verlassen wirkte das alte, halb verfallene Gebäude, das auf den steilen Klippen über dem tosenden Meer stand.

Es lag etwas abseits von den anderen Häusern des Dorfes. Hochmütig sah es auf die kleine Kapelle und dem dazugehörigen Friedhof herab.

Seit Jahrhunderten bestatteten dort die Fischer ihre Toten, sofern sie nicht Opfer des wütenden Meeres wurden.

Das düstere, unheimliche Anwesen, mehr eine Kate als ein Haus, hatte er günstig erworben.

Es faszinierte ihn vom ersten Augenblick, zog ihn an – wie ein Magnet.

Das war genau die Art von Haus, das seinem heimlichen Wunsch entsprach und jetzt war es, dank der großzügigen Erbschaft seiner Großmutter, das Seine. Doch die Renovierung würde noch viel Zeit und Geld in Anspruch nehmen, bis auch die letzten Zeichen des Verfalls ausgemerzt waren.

In der Dorfchronik stand zu lesen, dass Kapitän John McDown, dem einst dieses Haus gehörte, sich mit den Schwarzen Mächten verbündet habe, um sein verbrecherisches Treiben vor der Obrigkeit zu verbergen. Eines Tages verschwand er, kam nie wieder zurück. Jahrzehnte blieb der Besitz herrenlos, auch spätere wechselten ständig, und man munkelte, dass der alte John in Vollmondnächten durch die Klippen geistere.

Oft sei er gesehen worden, wie er mit seinem Holzbein am Stand entlang hinkte und Ausschau nach dem legendären Schwarzen Schiff hielt, das alle Strände dieser Welt anlief, um die Verdammten auf seiner nie endenden Reise aufzunehmen.

Torsten fand diese Sage aufregend, sie inspirierte ihn, ließ ihn wohlig erschauern.

Am Ende der Klippen blieb er stehen.

Tief unter ihm rollten die lila-blau schillernden Wellen ans Ufer, brachen sich an den Felsen, gischteten hoch und tänzelten schaumbekränzt wieder zurück.

Langsam schwenkte er die Kamera von rechts nach links, machte Aufnahmen vom Himmel und seinen Spiegelungen im Wasser. Ein strahlender Streifen durchbrach die Schichten des hellblauen Himmels und verfärbte sich zu einem pulsierendem Gold.

Aber innerhalb weniger Minuten verwandelte sich der spektakuläre Sonnenaufgang zu einem ganz normalen Tag.

Torsten stellte die Campcorder ab und ließ den Blick umhergleiten. In Gedanken versunken und voller Pläne für eine eigene, neue Gemäldeausstellung, erkundete er mit Bubbel die Gegend. Diese Aussicht bot Inspirationen für Hunderte von Bildern.

Ein nie gekanntes Glücksgefühl kroch in ihm hoch.

Nur schwer konnte er sich von diesem Anblick losreißen.

 

Unmerklich verdüsterte sich der strahlende Tag.

Ein eisiger Ostwind blies die schweren, mit Regen gefüllten Wolken über den bleigrauen Himmel.

Torsten pfiff nach Bubble. In der Ferne hörte er sein heiseres Bellen – doch der Hund kam nicht.

Ärgerlich kickte er einen Stein vor sich her und beförderte ihn im hohen Bogen ins Meer.

 

*****

 

Torsten schulterte den Rucksack und ging schon mal vor. Sein Hund würde den Weg auch ohne ihn nach Hause finden.

Er betrat die ausgetretenen, glitschigen Steinstufen, die vom Strand die Böschung hinauf zu seinem Haus führten. Sie zwangen ihn, kleinen Felsvorsprüngen und Pfützen auszuweichen. Gleichzeitig war dies auch der einzige Weg, der auf halber Höhe, wo die Klippen allmählich niedriger wurden, zum Friedhof führten.

Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen, so, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer geknallt.

Irritiert blickte er sich um.

In eine Felsspalte geschmiegt, fast gänzlich von wildem Efeu und dornenverwickelten Brombeeren verhüllt, stand ein uraltes Bootshaus – daneben lag ein umgestürztes Holzkreuz.

Wie ein Blitz rannte Bubbel an ihm vorbei. Ruckartig blieb er vor dem Kreuz  stehen, tänzelte mit eingeklemmten Schwanz hin und her und fiepte ängstlich.

„Blöder Kerl“, murmelte Torsten ärgerlich, „hat Angst vor einem Holzkreuz. Du bist schon ein verrücktes Vieh!“

Doch das Grab, das zweifellos nicht zum Friedhof gehörte, entfachte seine Neugier.

Vielleicht hatte er die letzte Ruhestätte des sagenumwobenen und mythenrumrankten John McDowns entdeckt? Aber wer hatte ihn begraben? Oder war dies nur eine Gedenkstätte?

Er ging in die Hocke, versuchte auf dem Kreuz einen Namen zu entdecken – aber da stand nichts. Er schluckte, als er feststellte, dass die kürzere, die vertikale Seite des Kreuzes in der Erde gesteckt haben musste.

Ein eisiger Windstoß streifte ihn wie aus dem Nichts. Er glaubte ein heiseres Gelächter zu hören.

Beunruhigt sah er sich um. Die Abenddämmerung in den einsamen Klippen, er stand neben dem Grab eines Unbekannten und sein jaulender Hund, wirkte beklemmend. Die stummen, verwitterten Zeugnisse des alten, längst vergessenes  Bootshauses und das umgestürzte Kreuz - alles Elemente, die seine Phantasie anstachelten; dennoch spürte er, wie ihm die Furcht mit eisigem Finger über sein Rückgrad strich.

Unwillig versuchte er diese Gefühl abzuschütteln.

Er verspürte nur noch den Drang von hier fortzukommen.

„Na los, alter Junge“, lockte er seinen Hund. „Mir ist kalt und ich hab‘ Hunger!“

Doch Bubble hörte nicht. Er knurrte, lief auf das Grab zu und fing zu graben an.

„He! Lass den Scheiß“, brüllte Torsten.

Ärgerlich packte er ihn am Halsband. Doch Bubble fletschte die Zähne, riss sich los und grub wie verrückt weiter. Die sandige Erde spritzte im hohen Bogen nach hinten.

Er schluckte. Dass sein Hund nicht immer gehorchte, war nichts Neues, aber dass er ihm die Zähne zeigte, irritierte ihn völlig.

 

*****

 

Abrupt hielt Bubble inne, trottete zu seinem Herrchen, bellte heiser und rieb den Kopf an seinem Knie.

Plötzlich blitzte in der Erde etwas auf.

Neugierig bückte er sich danach und zog einen hölzernen, kegelförmigen Gegenstand heraus, der auf der einen Seite ungefähr kniestark war und sich zum anderen Ende hin verjüngte.

Mit klopfendem Herzen befreite er es von Sand und feuchter Erde.

„Wahnsinn!“, murmelte er andächtig, als er den  mit metallenen Beschlägen und mit prächtigen Schnitzereien versehenen Fund in den Händen hielt. Mit dem Daumen rieb er darüber.

Die Beschläge waren aus purem Silber.

Die üppig verschnörkelten Initialen glitzerten geheimnisvoll.

„JMD“, murmelte Torsten und fuhr sich aufgeregt mit der Zunge über die Lippen. „Ich wird‘ verrückt! Das ist vielleicht das Holzbein des alten John!“

 

*****

 

Den Rest des Abends verbrachte Torsten damit, seinen Fund gründlich zu säubern und zu polieren.

Stolz hob und senkte sich seine Brust, als er es auf die Kommode in der Diele stellte. Schimmernd stand es dort und belohnte seinen Finder durch orakelhafte  Schönheit.

Erneut verspürte Torsten diesen eisigen Hauch, der wie Spinnenbeine über seine Haut kratzte. Fröstelnd zog er die Schultern hoch

 

*****

 

Das Grab brach von innen auf. Knochige Hände wühlten sich nach oben, schimmerten bleich und vermodert im seelenlosen Licht des Mondes.

„Mein Bein!“, winselte die schwarze Gestalt und grub sich bis zum Brustkorb aus dem Ackerboden.

Fassungslos starrte Torsten auf den halb verwesenden Leichnam eines uralten Mannes mit scharf hervorspringenden Gesichtszügen. Er war völlig kahl, leichenblass, aber seine Augen glühten wie rote Irrlichter durch die sternenlose Nacht.

Er öffnete seinen zahnlosen Mund und der Geifer tropfte auf sein Kind.

Anklagend hob er seine knochige Hand, die sich zu einer Klaue formte, und zeigte auf Torsten.

„Mein Bein“, fauchte er, „gib’s mir zurück...“

 

*****

Von der nahen Kirchturmuhr verhallten die letzten mitternächtlichen Schläge. Schweißgebadet schoss Torsten aus dem Schlaf hoch.

Schwer atmend warf er einen kurzen Blick auf seinen Wecker. Zwölf Uhr! Das passt ja wie die Faust aufs Auge, dachte er erleichtert, ein Albtraum zur Geisterstunde. Wurde er durch die Glockenschläge geweckt? Seltsam, davon war er doch noch nie wach geworden.

Erleichtert sackte er in die Kissen zurück.

Fröstelnd zog er die Decke bis zum Kinn hoch.

Gerade als der Schlaf nach ihm griff, glaubte er etwas zu hören? Im Nu war er wieder hellwach.

Angespannt lauschte er in die Dunkelheit.

Leise, knirschende Laute trug der Wind durch das offene Fenster seines Schlafzimmers.

Bubbel hob seinen Kopf, fiepte leise.

„Psst!“ Torsten legte den Zeigefinger auf die Lippen, stieg aus dem Bett und tapste ans Fenster.

Da! Dort unten bewegte sich etwas.... Da schien jemand die steinernen Stufen hochzukommen – oder war das noch auf dem Friedhof?

War es ein Grabschänder, der dort zugange war? Torsten konnte nur einen geisterhaften Schattenriss im silbernen Schein des Mondes erkennen.

Das Blut stockte in seinen Adern. Die Gestalt, die mühsam versuchte, die Steinstufen hochzusteigen, glich dem Alten in seinem Albtraum.

„Mein Bein!“, heulte er schaurig. „Gib‘ mir mein Bein zurück!“

Winselnd sackte er zusammen und kroch auf allen Vieren weiter – genau auf sein Haus zu.

Jäh löste sich die Gestalt auf.

Das Gefühl eisiger Kälte glitt durch seinen Körper.

Mit fahrigen Händen verriegelte er das Fenster und sperrte die Schlafzimmertür sorgfältig ab.

Erregt lauschte er in die Stille, vernahm das Rascheln der fast blätterlosen Bäume, die sich im Wind wiegten. Langsam löste sich die Angst auf, wie der Nachtnebel nach dem ersten Sonnenstrahl.

 

*****

 

Am nächsten Morgen war Torsten sich ganz sicher, dass das nächtliche Phänomen nur seiner Phantasie entsprungen war. Nur ein Traum. Ein Albtraum – hatte mit der Wirklichkeit absolut nichts zu tun.

Gut gelaunt briet er sich ein paar Rühreier und blickte durch das Küchenfenster.

Größer konnte der Kontrast zum gestrigen Tag nicht sein. Ein wütender Herbstwind pfiff um das Haus, fetzte den Rest des Laubes aus Büschen und Bäumen.

Und mit einem Mal kam die Erinnerung des nächtlichen Traumes, der wie Karussell durch seine Gedanken kreiste.

Grübelnd hockte er am Frühstückstisch und überlegte, ob er sich auf den Weg zu diesem vergessenen Bootshaus machen sollte. Vielleicht sollte man sich die Fundstätte noch einmal bei Tageslicht ansehen?

Unwillig wischte er die Gedanken weg.

Seufzend machte er sich an die Arbeit und versuchte, die alten Dielenbalken von Holzwürmern zu befreien.

Jäh streifte ihn ein eisigen Hauch.

Er spürte ein eigenartiges Kribbeln, und es kam ihm vor, als wenn jemand hinter ihm stünde und seinen Blick in seinen Nacken bohrte.

Abrupt drehte er sich um, dabei fiel sein Blick auf die Kommode. Zwischen dem klobigen Wasserkrug und einem handgeflochtenen Weizenkranz lehnte das Holzbein des alten John McDown.

Torsten ignorierte dieses beklemmende Gefühl, das ihn überfiel, als er das alte Holzbein zur Hand nahm. Er besaß genügend kunsthistorische Kenntnisse, um zu wissen, dass dieser Fund ein Vermögen wert war.

Fast liebkosend strich er über die kalt schimmernden Silberbeschläge und bemerkte nicht die scharfe Kante, die tief in seinen Finger schnitt. Die Blutstropfen rannen am Finger herab und sickerten auf das Holzbein.

„Scheiße“, murmelte Torsten und suchte im Badezimmer nach einem Pflaster.

 

 *****

 

Der Wind jammerte und heulte wie ein bösartiges Tier, peitschte über die Dächer und rüttelte an den Fensterläden. Am nächtlichen Himmel vereinten sich die Wolken zu drohenden Gebilden. Aufgepflockte Kürbisse mit grinsenden Dämonenfratzen schimmerten in den Vorgärten des Dorfes.

Ein Schauer rann über Torstens Rücken, als er in den Ort hinuntersah. Rasch ging er ums Haus und verriegelte die auf- und zuschlagenden Fensterläden.

Von der nahen Kirchturmuhr schlug es sechzehn Mal. Zwölf Mal für jede volle Stunde und einmal für jede Viertelstunde.

Jäh fiel ihm das Erlebnis der letzten Nacht ein.

Er atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Nein, Geister gab es nicht! Solche Wesen entsprangen nur einer blühenden Phantasie. Und morgen war der 31. Oktober, das Fest der Geister und Dämonen. Eine Nacht, die seit Ewigkeiten den Menschen Furcht einflößten, wenn sich Jahr für Jahr die Tore der Finsternis öffneten.

Der eisige Wind zauste in seinen Haaren, fetzte an seiner Kleidung und biss durch den dicken Pullover. Schnell eilte er ins Haus zurück und schloss ab.

Als er sich umdrehte, glaubte er das leise Geräusch schlurfender Schritte, unterbrochen von einem Klopfen, zu hören.

Torsten runzelte die Stirn, wandte sich halb, als sich das Geräusch wiederholte. Wie von der Tarantel gestochen fuhr er herum. Er spürte, dass er nicht mehr allein war. Bubbel tänzelte um ihn herum, fiepte ängstlich und rieb seinen Kopf an seinem Knie.

 

*****

 

Torstens Herz begann schmerzhaft zu klopfen.

Allein bei dem Gedanken, dass da etwas war, etwas Unsichtbares, das sich ihm näherte, bereitete ihm Angst. Da geschah etwas mit dem Licht. Der sanfte Schein der heruntergedimmten Lampe schien mit einem Mal zu verblassen und schwarze Schatten tanzten über die Wände.

„Ha... hallo! Ist ... ist da jemand?“, rief er mit zitternder Stimme. Jeder Atemzug brannte in seiner Kehle und in seinem Mund machte sich ein säuerlicher Geschmack breit.

Allmählich begannen sich die Schatten zu menschenähnlichen Umrissen zusammenzuballen.

Halb wahnsinnig vor Angst wich er zurück, nicht fähig, den Blick von dem fremden Wesen zu lösen.

„Gib mir mein Bein zurück!“, fauchte eine Stimme.

Die schattenhaften Erscheinung nahm Konturen an, Details schälten sich heraus.

Sein Herz hämmerte schmerzhaft. Nur eine Handbreit vor ihm entfernt stand der Alte aus seinem Albtraum. Kälte und modriger Gestank umwehte die geisterhafte Erscheinung eines uralten kahlköpfiger Mannes.

Scharf spannten sich die knochigen Gesichtszüge unter dessen Haut, die wie verknittertes Pergament wirkte. Den schmächtigen Körper umhüllte eine verschmutzte und fadenscheinige Kapitänsuniform, deren rechtes Hosenbein blutbesudelt und in Fetzen unterhalb des Knies in einem nach Verwesung stinkenden Stumpf endete.

Torsten glaubte, sich übergeben zu müssen, raffte all seinen Mut zusammen und versuchte, eine einigermaßen selbstbewusste Haltung anzunehmen.

„Wer... wer sind Sie?“, stotterte er, als ihn der Blick der roten, durchdringenden Augen traf.

Ein faunisches Lächeln grub sich in das Gesicht des Geistes. „Mein Name ist John McDown!“, zischte er und musterte ihn verschlagen. „Und du, du bist der Dieb meines Beines!“

Torsten schüttelte verzweifelt den Kopf.

„Ich... ich habe es gefunden!“, rechtfertigte er sich, wies auf die Kommode und stotterte: „Da steht es. Nehmen Sie es mit!“

John McDown warf einen Blick auf das Holzbein, wandte sich zu ihm um, neigte leicht den Kopf, dabei funkelten seine roten Augen.

Torsten spürte wie das Böse zu ihm herüberwehte und in jede Pore seines Körpers kroch.

„Was hältst du von einem Pakt“, fragte McDown beiläufig.

„Pakt?“, wiederholte Torsten irritiert und bemühte sich, seine Nervosität zu verbergen.

Der Alte nickte und stelzte langsam auf ihn zu. Seine roten Augen bohrten sich in seine.

„Ich mache dich berühmt“, sprach der Geist, schwieg einen Moment und fuhr dann fort: „Landauf, landab wird man über dich reden. Mehr noch: Ich verleihe dir Unsterblichkeit!“

Torstens Gedanken überschlugen sich, seine Stimme zitterte, als er fragte: „Und was...was wollen Sie von mir?“

„Dein Bein!“

„Was?“, rief Torsten entsetzt und fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die Haare. „Niemals! Das kommt nicht...“

„Überleg’s dir gut!“, unterbrach McDown ihn mit einer unwilligen Handbewegung. „Ein kleiner Kontrakt! Der Preis ist Unsterblichkeit!“

Von einer Sekunde zur anderen begann McDown sich aufzulösen, aber seine geisterhafte Stimme wehte noch einmal zu Torsten hinüber:
„Unsterblichkeit!“

 

*****

 

Immer wieder erschien die Szene vor Torstens Augen.

Die Luft schien erfüllt zu sein von flüsternden Stimmen, die immer wieder dasselbe wisperten: Unsterblichkeit! Unsterblichkeit! Unsterblichkeit!

Dieses Wort grub sich auf magische Weise in seine Seele, fesselte ihn, zwang ihn, vergangene Niederlagen erneut zu ertragen. Gesichter und Stimmen schienen den Raum zu beherrschen, die ihn beschimpften, verhöhnten, auslachten. Briefe flatterten um ihn herum, die alle Negationen seines bisherigen Lebens bekundeten. Geplatzte Ausstellungen, vernichtende Kritiken, das Ringen um Anerkennung als Maler, der Kampf um das Notwendigste.

„Unsterblichkeit!“, murmelte Torsten selbstvergessen und ein beharrliches Gefühl kroch in ihm hoch.

Was wäre, wenn er sich ausschließlich seiner Kunst widmen könnte? Er könnte seinen eigenen Stil ausleben, Gründer einer neuen Kunstepoche werden.

Seine Werke würden in allen Kunstfakultäten Einzug halten! Jeder würde seinen Namen kennen...

Aber der Preis! Ihn schauderte, doch zugleich wisperte es in ihm: „Unsterblichkeit für ein Bein!“

Dieser Gedanke pochte wie besessen in seinen Gedanken.

Ja, er würde es den anderen zeigen. Er würde den Vertrag eingehen und eines Tages aufwachen – eben nur mit einem Bein. Heutzutage gab es phantastische Prothesen.

 

 

*****

 

In fieberhafter Erwartung sehnte Torsten Mitternacht herbei. Die Hände in die Hosentaschen vergraben wanderte er unruhig auf und ab, sandte einen Blick aus dem Fenster und nahm das festliche Treiben der Halloweennacht wahr.

Das ganze Dorf schien auf den Beinen zu sein. Hohe Feuer warfen ihre flackernden Lichter in die sternenlose Nacht.

Buddle wich ihm nicht von der Seite. Immer wieder tänzelte er um ihn herum und fiepte leise.

Nervös sah Torsten zur Uhr. Gleich! Gleich war es soweit. Kaum hatte er zu Ende gedacht, erhallten die ersten mitternächtlichen Schläge der Kirchturmuhr.

Da war es wieder, dieser eisige Hauch, dieses schlurfende, stelzende Geräusch, das ein ambivalentes Gefühl zwischen Erleichterung und Furcht in ihm entfachte.

Schwarze Schatten huschten über die Wände.

Das Licht verblasste. Es zog eine Dunkelheit durch das Zimmer, die keines natürlichen Ursprungs war.

Der Hund bellte leise und verkroch sich unter dem Schreibtisch.

Beißender Gestank wehte Torsten ins Gesicht und raubte ihm für Sekunden den Atem. Entsetzt wich er einen Schritt zurück, als der Geist McDowns jäh vor ihm stand.

„Nun?“, erkundigte sich der Alte, neigte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn lauernd.

Er räusperte sich und hoffte, dass seine Stimme Festigkeit vortäuschte.

„Ich werde den Pakt eingehen!“

Ein hämischen Glitzern zuckten in McDown roten Augen. Bedächtig griff er in seine Jacke, zog eine  Pergamentrolle und eine schwarze Feder heraus und drückte sie Torsten in die Hand.

„Hier ist der Kontakt! Unterschreib mit deinem Blut!“, befahl er.

„Mi... mit meinem Blut?“, stammelte Torsten entsetzt und geriet für kurze Zeit in Panik.

Der Geist nickte und seine krächzende Stimme verfärbte sich mit Ungeduld.

„Nur in optima forma! Und nun unterschreib!“

Zögernd ging Torsten zum Schreibtisch. In einer kleinen Schale bewahrte er Rasierklingen auf, mit denen er seine Kohlegriffel bei Bedarf anspitzte.

Saugend holte er tief Luft und ritzte sich tapfer in den Zeigefinger. Das herausquellende Blut rann am Finger herab und tropfte auf den Vertrag.

„Tu’s nicht!“, vernahm er ein verzweifeltes Flehen.

Leicht beugte sich der Geist vor und flüsterte eindringlich: „Unsterblichkeit!“

Torsten tauchte die Feder in sein Blut. Mit energischen Zügen unterschrieb er. Kaum hatte er den letzen Strich seines Namens vollendet, riss McDown den Vertrag an sich. Ein triumphales Lächeln verzerrte sein verwesendes Gesicht und seine roten Augen schienen förmlich Funken zu sprühen.

Urplötzlich blitzte etwas kurz auf. Instinktiv versuchte Torsten noch durch einen Sprung zu entkommen. Doch ein dunkler Schatten, der sich von der Wand löste, stieß ihn zu Boden. In diesem Moment pfiff die blanke Axt durch die Luft sauste auf ihn herab. Er verspürte einen brennenden höllischen Schmerz als die Axt durch sein Bein hieb. Es schrie gellend auf. Es sah, wie das Blut in einer dicken Fontäne aus seinem Bein spritzte.

McDowns nahm Torstens abgehacktes Bein und presste seinen verwesenden Stumpf darauf.
Ein dünnes, böses Grinsen spielte um McDowns Lippen. Mit Genugtuung beobachtete er Torsten, der sich vor Qual und Schmerzen in seinem Blut wand.

„Du... du hast mir Unsterblichkeit versprochen!“, hauchte er mit letzter Kraft, dann schwanden ihm die Sinne.

Der Alte warf den Kopf in den Nacken, lachte und zischte: „Du wolltest Unsterblichkeit! Nun, ich gab‘ sie dir!“

 

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