Dunkelheit, diese ewige Dunkelheit umgibt mich schon so lange und ich kann ihr nicht entfliehen. Warum nur? Ich ertrage diesen Zustand meines Seins einfach nicht mehr. Ich mag nicht mehr in dieser Form auf dieser Welt wandeln. Wenn ich mich selbst töten könnte, dann würde ich es tun. Wenn ich es doch nur noch könnte. Aber vielleicht werde ich ja bald erlöst. Vielleicht muss ich bald nicht mehr so leben. Ich kann nur hoffen und beten.
Einst war ich so ein schönes Kind. Ich hatte langes, nussbraunes Haar, schöne, braune Augen, sinnliche Lippen und einen Körper... Ja, mein Körper war ein Traum. Volle, große Brüste, einen knackigen Hintern und eine schmale Hüfte. Jeder Junge wollte mich und jedes Mädchen wollte so sein wie ich. Ich war beliebt bei allen und war auch keines Wegs dumm, nein, das bestimmt nicht. Ich hatte mein Abi mit 13 Punkten Durchschnitt gemacht. Streberin wurde ich aber nie genannt. Nicht das ich wüsste, ich war einfach zu beliebt. Jeder hatte Respekt vor mir. Nach meinem Abi ging ich auf die Uni. Dort war ich sehr erfolgreich. Ich war beliebt bei allen Doktoren. Meine Diplomarbeit war schon fast fertig. Na ja, die kann ich mir jetzt aber in die Haare schmieren. Sie fertig zu schreiben bin ich nun leider nicht mehr in der Lage. Es wurde mir alles an einem Tage zu Nichte gemacht.

*

Es passierte alles, ich schätze mal, vor 3 Tagen. Ich liege schon so lange hier und weiß nicht wie viel Zeit schon vergangen ist, also kann ich es nur schätzen. Es war Sonntags. Ein schöner Sonntag. Die Sonne ging gerade unter und der Himmel leuchtete in den schönsten Rottönen, dich ich je gesehen habe. Den Sonnenuntergang habe ich schon immer geliebt und dieser war besonders schön anzuschauen. Ich lief, wie so oft, in unserem Stadtpark umher. Ich liebe diesen Park. Die Natur gab mir Geborgenheit und der Park war ein schönes Stück Natur in dieser dreckigen, verschmutzten, kalten Stadt, in der ich lebte. Leider war es an diesem Tag ein Fehler ihn zu besuchen. Ich war einfach nicht darauf gefasst gewesen. Wie sollte ich auch, von so was hörte man doch allerhöchstens in den Nachrichten.

Ich wurde hinterrücks gepackt und in einen Busch gezogen. Ich hab mich natürlich gewehrt. Wer würde das nicht tun? Aber er war zu stark für mich. Ich konnte mich nicht befreien, sosehr ich es auch versucht habe. Warum musste so was mir passieren? Ein Schrei versuchte aus meinem Mund zu entkommen, aber da spürte ich schon einen heftigen Schlag auf meinen Hinterkopf. Dann wurde alles schwarz um mich herum. Ob der Schlag es war, dem ich diesen Zustand zu verdanken habe? Das weiß ich leider nicht. Es ist grausam. Diese Einsamkeit. Diese Leere. Man kann sich nicht bewegen. Der Körper ist nicht mehr da. Okay, er ist zwar noch da, aber man ist nicht mehr Herr über ihn. Nun haust nur noch mein Geist in dieser Hülle.

Das Erste was ich dann mitbekommen habe war, dass sich zwei Ärzte über mich unterhielten. Ich wusste zwar nicht das es Ärzte waren, da ich meine Augen, sosehr ich es auch wollte, nicht öffnen konnte, aber nachdem was sie redeten, mussten sie Ärzte gewesen sein. Ich wusste nicht wie hart es ist, zu erfahren, das man tot ist. Ja, tot! Die Ärzte sagten ich sei verstorben. Es ging mir nicht in meinen Kopf. Ich tot! Wie konnte das passieren und warum war ich trotzdem noch da? Es konnte nur an dem Schlag gelegen haben, der mir mein Mörder verpasst hat. Aber ich fand mich, zu meiner Überraschung, ungewöhnlich schnell mit meiner Situation ab. Angekotzt hat es mich zwar trotzdem. Oh ja, es hat mir wirklich nicht geschmeckt, da ich noch soviel in meinem Leben erleben wollte, aber was sollte ich schließlich gegen meinen Zustand unternehmen? Die Ärzte redeten darüber, das mein Mörder mich anscheinend vergewaltigen wollte. Es sei dann aber wahrscheinlich jemand erschienen und er kam nicht dazu. Aus Angst, ich könnte ihn anscheinend identifizieren hätte er mich kurzerhand erstochen. Ich wusste nicht ob das stimmt, was sie da erzählten, aber ich ging mal davon aus. Was sollte ich auch sonst glauben? Das Gute an der Geschichte war, wenn sie stimmen sollte, das er wenigstens meinen Körper nicht geschändet hat, bevor ich starb. Das gab mir ein bisschen Mut. Wenn mich so eine kranke Sau auch noch vergewaltigt hätte, das hätte mich geistig doch echt fertig gemacht.

Die Tage vergingen. Ich hörte wie Angehörige ins Leichenschauhaus kamen und mich identifizieren mussten. Wie meine Eltern geweint haben, als sie mich erblickten. Es war hart. Sie waren sehr verstört. Wie kann man es ihnen verdenken? Ich war ihre einzige Tochter. Und dann kam meine Beerdigung. Schlimm war es. Schlimm ist sogar untertrieben, es war grausam. Seiner eigenen Beerdigung beiwohnen zu müssen ist wohl das Schrecklichste was einem passieren kann. Zu hören wie alle um einen weinen. Es war noch schlimmer als die Geschichte im Leichenschauhaus. Erst hier merkte ich, dass dies der Abschied von allen ist, die ich kannte. Das Ganze zerriss mir mein lebloses Herz. Wie ein Wasserfall hätte ich heulen können, wenn ich es nur noch gekonnt hätte. Danach wurde mein Grab zugeschaufelt und seit dem herrscht bei mir nur noch die Stille.

*

Mir ist hier unten so langweilig. Wenn doch nur bald mein Gehirn auch noch aussetzen würde, dann hätte ich wenigstens endlich meinen ewigen Frieden, den ich mir nun redlich verdient hatte. Dann würde endlich Stille über mich kommen. Aber nein, ich liege immer noch hier. Hirn, höre doch bitte auf zu funktionieren. Lass mich bitte schlafen. Was muss ich nur tun, damit ich endlich meinen Frieden habe? Was denn nur? Oh, du grausame Natur, warum bin ich zu solch einem Schicksal verdammt? Was hab ich nur getan? Mir fällt nichts ein. Was soll ich denn nur verbrochen haben?

Mir ist so langweilig. Nicht einmal der Schlaf besucht mich in meinem Zustand. Erlöst mich doch bitte. Warum hat man mich nicht, nachdem ich verstorben war, verbrannt? Dann hätte das Spiel schon lange geendet. Das wäre doch billiger gewesen als so ein scheiß Sarg. Aber nein, für ihre Tochter ist meinen Eltern nichts zu teuer. Solche Arschl... Ach was reg ich mich auf? Ich kann sowieso nichts mehr ändern. Sie haben es ja nur gut gemeint.

*

Wo kommen plötzlich diese Geräusche her? Etwas macht sich an meinem Sarg zu schaffen. Sind es Würmer oder vielleicht auch Ratten? Oh bitte nicht. Ich hasse dieses Ungeziefer. Die sollen bloß wegbleiben. Ich will weg! Ich will raus! Lasst mich gehen! Ich will nicht durch solche widerwärtigen Tiere zum zweiten Male sterben. Die Tierchen werden mir meine Haut vom Leibe fressen. Langsam wird mein Fleisch zum Vorschein kommen. Dieses werden sie sich dann auch einverleiben, bis nur noch meine blanken Knochen übrig sein werden. Nein, das will ich nicht! Ich will es einfach nicht! Was ist das? Nein, das können keine Ungeziefer sein. Mein Sarg bebt, er bewegt sich. So etwas können diese winzigen Tierchen nicht vollbringen. Ich höre wie der Sargdeckel geöffnet wieder. Was geschieht hier nur? Was passiert hier?“

„Ah, da bist du ja. Du meine Schönheit. Meine Liebe. Jetzt bist du mein, für immer. Du gehörst nur mir, mir ganz allein.“

„Wer ist das? Welcher kranke Spinner hat mich ausgegraben? Was will er von mir? Ich habe Angst. Ja, obwohl ich tot bin und mir nichts mehr passieren kann, hab ich Angst um mich. Um meinen Körper.

Was passiert nun? Ich werde empor gehoben. Das fühle ich irgendwie. Wenn ich nur was sehen könnte. Wenn ich meinen Entführer nur erblicken könnte. Wenn ich sehen könnte, was er für eine kranke Gestalt ist. Wir halten an, ich kann es fühlen. Er öffnet eine Tür. Wohin bringt er mich? Er setzt oder legt mich irgendwohin. Was will er?“

„Hallo mein Engel. Als ich dich im Park zu ersten Mal sah, wie du so spazieren gingst, wie dein Haar im Wind wehte, dein Lächeln, deine Lippen, da wusste ich, ich will dich haben. Ich will dich für mich alleine haben. Ich hab dich eingeladen, zu mir in den Busch. Wollte dir ein Geschenk geben. Ich wollte mich dir schenken. Aber dazu...“

„AHHHH, diese Arschloch hat mich umgebracht. Dieses widerliche Ding! Dieser perverse Sack! Ich will ihn dafür büßen lassen! Am Liebsten würde ich ihm seine Eier rausreißen. Er soll leiden. Warum darf so ein Mensch nur auf dieser Welt wandeln?“

„... kam es leider nicht. Diese Fußgänger wollten unser Glück nicht zulassen. Sie haben uns gestört. Ich musste schnell handeln. Leider ist mir nichts besseres eingefallen als dich ruhig zu stellen, für immer. Es tut mir so leid. Es tut...“

„Ja, das ist wohl das Mindeste, aber es entschuldigt trotzdem nichts. Es hilft mir leider nicht weiter, du Spinner.“

„... mir wirklich aus tiefsten Herzen leid. Ich will es wieder gut machen. Ich will alles wieder gut machen. Jetzt bist du bei mir und wir sind ungestört. Jetzt kann ich mich ganz um dich kümmern. Jetzt bin ich bei dir. Für immer. Es freut mich, das du nun bei mir bist Amy! Ich weiß jetzt wie du heißt. Ich hab es auf deinem Grabstein gelesen. Und wenn ich deinen Namen kenne, sollst du auch meinen erfahren. Ich heiße Joseph.“

„Und was kümmert es mich, wie du kranke Missgeburt heißt?“

„Und wenn du schon für immer bei mir bleibst, dann sollst du auch deinen neuen Beschützer erblicken. Halte still, ich werde dir jetzt...“

„Was will er nur mac... Oh mein Gott! Meine Augen.“

„... deine Augen öffnen. Und wie findest du mich? Du wirst bei mir bleiben, ich hoffe ich gefalle dir auch.“

„Ich kann sehen. Meine Augen, sie funktionieren noch. Unglaublich. Das darf nicht wahr sein. Das darf einfach nicht wahr sein. Ein Wunder!

Das ist mein Mörder? Dieser wunderschöne junge Mann. Er dürfte gerade mal 25 Jahre alt sein und soll schon ein Mörder sein. Warum? So jung und schon so krank im Kopf. Was ist ihm nur passiert, dass er so was macht? Diese Augen. So schöne blaue Augen sah ich noch nie. Und die kurzen schwarzen Haare unterstreichen seine Kinnpartie. Und seine Grübchen. Wie süß er doch aussieht. NEIN, ich kann mich jetzt nicht in ihn verlieben. Ich darf mich nicht in ihn verlieben. Er ist mein Mörder. Er ist gestört. Aber irgendwie, irgendwie hat er irgendwas an sich.“

„Und wie findest du mich? Mit mir kann man doch leben, oder meinst du nicht? Ich finde schon.“

„Ach würde ich nur noch leben und er nicht so gestört sein, dann könnte ja aus uns was werden. Aber er ist wenigstens nett. Nicht ganz so gewalttätig und grob wie andere Kerle die ich kannte, na ja, eigentlich schon, aber in einem anderen Verhältnis. Aber jetzt behandelt er mich gut. Er ist so lieb zu mir. Wie schnell sich doch mein Hass in Liebe verwandeln konnte. Ich kann es selbst nicht fassen. Ich müsste sauer auf ihn sein. Er hat mir mein Leben genommen, aber dennoch liebe ich ihn, seit der ersten Sekunde seitdem ich ihn sah. Ich würde so gerne seine Lippen auf den Meinen spüren. Ich hätte gerne seine starken Arme um meine Hüften. Ich würde ihn sogar gerne in mir spüren.“

„Jetzt kann ich da weiter machen, wo ich letztes Mal aufhören musste. Ich kann mich dir nun schenken.“

„Oh ja, schenke dich mir, darauf wartete ich nur. Er spitzt seine Lippen. Er will mich küssen. Mein Traum geht in Erfüllung. Wenn ich doch nur noch am Leben wäre. Wenn ich ihn in meine Arme schließen könnte. Er berührt meine Lippen schon fast. Oh ja, welch ein Gefühl durchströmt meinen Körper denn da? Es fühlt sich an, als ob mein ganzer Leib vibrieren würde. Das muss wahre Liebe sein. Das ich erst jetzt diese Liebe erfahren darf. Warum erst jetzt und nicht schon viel früher, als ich noch am Leben war? Da hätte ich es gebraucht. Was ist denn nun? Was soll das denn? Es verschwimmt alles. Nein, jetzt nicht. Nicht jetzt! Er will mich gerade küssen. Nein! Mein Gehirn darf nicht jetzt aussetzen. Gott, warum strafst du mich so sehr? Es wird alles undeutlich. Gott, warum willst du diese Liebe nicht? Nur einmal in meinem Leben will ich wirklich glücklich sein. Also schenke mir bitte noch ein paar Sekunden, nur diesen Kuss. Bitte! BIT...“

 

STILLE

FÜR IMMER

 

 

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