Jo Perry

 

Der Fahrstuhl

 

Als Michael Grant um 21.30 Uhr den Lift im 129. Stockwerk betrat, fühlte er sich ausgelaugt. Sein sonst so sorgfältig gekämmtes, hellblondes Haar wirkte stumpf und zerzaust. Auf seinem Anzug zeigten sich Flecken von zuviel Kaffee und die Kravatte saß auch nicht mehr  korrekt. Seine blauen Augen waren leicht gerötet, vermutlich vom langen Starren auf den Computerbildschirm. Es war wieder ein gräßlicher Tag im Büro gewesen. Jetzt war er müde. Zuhause wartete seine Frau auf ihn, wie immer mit der Frage, ob er seinen Chef denn heute um die längst fällige Gehaltserhöhung ersucht hätte. Und erneut mußte er ihr mitteilen, daß er es wieder nicht getan hatte. Oh, er hatte alles so satt! Den Job, sein Zuhause, seine Frau. Ein längerer Urlaub hätte ihm vielleicht noch helfen können, aber seine Urlaubszeit war bereits aufgebraucht.

 

Nun drückte er den Knopf für „L“ wie Lobby. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Er wußte, daß es eine Weile dauern würde, bis er unten angelangt war, also begann er sich erst einmal zu entspannen. Er hing eine Weile seinen Gedanken nach, als plötzlich ein Ruck durch den Lift ging. Erstaunt registrierte er, daß er in der 77. Etage zum Halten gekommen war. Das wunderte ihn, denn  gewöhnlich war er um diese Zeit allein. Aber dann ging die Tür auf und da stand sie! So eine Frau hatte er noch niemals gesehen. Und hier schon gar nicht. Sie war groß, unwahrscheinlich attraktiv und hatte langes, dunkles Haar. Sie trug ein rotes Kleid, das eher zu einer Cocktailparty als in ein Büro gepaßt hätte und dazu hochhackige Schuhe. Er schluckte, als sie lächelte. Ihr Mund zeigte eine Reihe schöner, weißer Zähne und in ihrer Wange erschien ein Grübchen. Michael grinste schüchtern. Sie drehte sich kurz um und drückte einen Knopf. Er bekam nicht mit, wo sie aussteigen wollte, aber das erschien ihm nebensächlich. Er registrierte eine deutliche Schwellung in seiner Hose und drehte sich verlegen weg. Sie schien es nicht zu bemerken, oder vielleicht doch? Sie sah ihn an und lächelte erneut.

„Hallo, guten Abend.“

Ihre Stimme war voll und angenehm. Michael lief rot an, dann antwortete er:

„Guten äh ... Abend. Ich habe Sie hier noch nie gesehen. In welcher Abteilung arbeiten Sie?“

Er war erstaunt, daß er diesen Satz überhaupt hervorgebracht hatte, so aufgeregt wie er war.

„Oh, überall. Ein wenig hier und da ...“

Sie lächelte vielsagend und betrachtete ihn genauer. Michael hielt diesem Blick kaum stand. Seine Hände  zitterten leicht. Ein nie gekanntes Verlangen nach dieser Frau wurde in ihm wach. 

„Mein Name ist Samantha, aber nennen Sie mich ruhig Sam“.

Sie spielte an ihrem Haar und sah ihn an.

„Oh, ich bin Michael, freut mich, Sie kennenzulernen.“

Er hielt ihr die Hand hin. Sie ergriff und drückte sie. Ihre Hand war weich und warm. Michael wurde klar, daß er diese Frau begehrte. Er ahnte, daß er keine Gelegenheit mehr haben würde, wenn er  jetzt nicht die Initiative ergriff. Einen kurzen Moment dachte er an seine Frau. Aber dann fiel ihm ein, daß sie ihm nur wieder Vorwürfe wegen der entgangenen Gehaltserhöhung machen würde. Nein! Daran wollte er im Moment nicht denken. Er wußte nur nicht  recht, wie er es anstellen sollte. Aber noch während er überlegte, faßte ihn Samantha mit beiden Händen an den Schultern und drückte sich an ihn. Er war so überrascht, daß er zuerst protestieren wollte, aber die Erregung war stärker und darum ließ er es. Er registrierte, daß sie grüne Augen hatte, eine Tatsache, die ihn faszinierte. Außerdem überragte sie ihn um mindestens einen halben Kopf. Sie steckte ihre Hand in seine Hose. Spätestens jetzt mußte sie die Beule fühlen, denn sie lächelte ihr unergründliches Lächeln. Er glitt mit seinen Händen in ihren Ausschnitt und bekam zwei wunderschöne, feste Brüste zu fassen. Michael küßte sie. Sie erwiderte den Kuß. Er war erstaunt, daß es so einfach war. Sonst war er bei Frauen noch nie besonders angekommen. Aber er wollte sich jetzt keine Gedanken machen, sondern nur genießen. So begann er, sie weiter zu bearbeiten. Sie zog seinen Gürtel aus der Hose und sie begannen, sich leidenschaftlich zu lieben. Flüchtig fiel ihm ein, daß der Lift ja nun bald zum Stillstand kommen mußte, aber das war ihm im Moment gleichgültig. Er genoß die Freuden, die sie ihm spendete, ausgiebig.

Die Luft erwärmte sich allmählich, aber das schob er auf seine Leidenschaft. Trotzdem schien sich die Temperatur noch zu erhöhen. Schließlich wollte er der Sache auf den Grund gehen, aber Sam hielt ihn mit ihren Reizen davon ab. Als er es nicht mehr aushielt, machte er sich mit einem Ruck von ihr los. Er sah auf das Display an den Knöpfen und bemerkte mit Verwunderung, daß sie die Lobby bereits passiert hatten. Jetzt ging es weiter abwärts. Er drückte auf den Kopf, um wieder nach oben  zu gelangen, aber nichts rührte sich. Langsam stieg Panik in ihm auf.

„Was ist denn los?“

Er drehte sich zu Sam um, aber die antwortete nicht. Ihr Gesichtsausdruck schien verändert. Michael zog sich hastig an und drückte wie verrückt auf die Knöpfe. Es wurde immer heißer und die Anzeige zeigte schon auf -127. Das konnte doch nicht sein! Das Gebäude hatte keine Stockwerke, die so tief hinunterführten. Das mußte ein Irrtum sein. Ein Computerfehler vielleicht. Das Display zeigte nun  -254. Michaels Entsetzen steigerte sich von Minute zu Minute. Aber Sam schien das alles nichts auszumachen. Sie hatte sich angekleidet und lächelte nun wieder.

„Keine Angst Mike, wir sind gleich da.“

Sie blickte ihn aufmunternd an. Obwohl ihre Stimme ruhig klang, fühlte sich Michael keineswegs besser. Wohin wollte sie mit ihm? Die Temperatur stieg immer noch und er hatte den Eindruck, daß es durch den Türspalt rot schimmerte. Vielleicht brannte es irgendwo? Das würde auch das kaputte Display erklären. Aber er konnte keinen Rauch riechen. Sie fuhren immer noch. Plötzlich hielt der Fahrstuhl an. Das Display zeigte 000.

„Unmöglich, das gibt´s doch gar nicht!“, dachte Michael.

 

Die Tür glitt zurück. Die Umgebung war in rötliches Licht getaucht. Zunächst  konnte er nichts erkennen. Die Hitze nahm ihm fast den Atem. Dann erblickte er einen Mann. Er war sehr groß, schlank  und trug einen eleganten hellen Anzug.

„Hallo Michael“, sagte der Fremde mit leiser, aber deutlicher Stimme.

„Sie kennen meinen Namen?“, würgte Michael hervor.

„Aber sicher doch“, antwortete der Fremde ruhig und seine hellen Augen blitzten. Er schien amüsiert.

„Wer sind Sie? Ich kenne Sie nicht.“

Michael wurde langsam unruhig. Sam trat jetzt an die Seite des Fremden. Der legte die Hand auf ihre Schulter und sah sie an. Sie lächelte ihm zu.

„Danke, meine Liebe.“

Er nickte kurz.

„Aber bitte, gern geschehen.“

Michael wußte nicht mehr, was er von allem halten sollte.

„Was soll das alles? Wo bin ich hier und wer sind Sie? Und was hat Sam damit zu tun?“

Bevor er eine Antwort erhielt, vernahm er plötzlich eigenartige Geräusche, die sich fast wie Stimmen anhörten. Die Hitze wurde allmählich unerträglich. Michael schüttelte den Kopf und wandte sich erneut an den Fremden.

„Ich frage Sie noch einmal. Wer sind Sie?“

„Oh, aber Du kennst mich, Michael. Ich bin es, der Unaussprechliche. Willkommen in der Ewigkeit.“

Die Augen des Fremden funkelten jetzt gelblich und wirkten beinahe reptilienhaft.

Der Moment der Erkenntnis überfiel Michael fast schockartig. Lähmendes Entsetzen stieg in ihm hoch. Der große Mann bewegte sich langsam auf ihn zun.

„Nein! Ich will nicht! Laß mich in Ruhe!“

Der Fahrstuhl! Er mußte zurück in den Fahrstuhl. Das war die einzige Chance. Er wollte nicht hierbleiben. Er drehte sich um und sprang auf die Stelle zu, an der sich die Eingangstür des Lifts befunden hatte. Aber sie war weg! Genauso wie der Lift selbst. Das war´s. Vorbei! Michael sank  in sich zusammen.

Er spürte eine Hand auf seiner Schulter.

„Komm Michael, laß uns gehen.“ Die Stimme des Unaussprechlichen drang in sein Innerstes. Michael stand schluchzend auf und folgte den beiden in die Ewigkeit.

 

Zurück