BESESSEN

 

“Du, oh Du

Du Zentrum meiner Gefühle,

meiner Gedanken,

meiner Sehnsüchte.

Wo bist Du?

Ich verlange nach Dir,

Dir zu sagen was ich fühle.

Schwindel und Rausch ergriffen Besitz von mir.

Klarheit und Vernunft versanken.

Jedoch bin ich auf dem Weg zum Lichte.”

 

Dies ritze ich in den Tisch, der vor mir steht. Ich weiß nicht wie lang es dauert. Ich weiß nicht wieso ich es mache. Dichten ist keine meiner Stärken,

 aber es fließt aus mir heraus,

wie Scheiße scheide ich es aus.

Meine Gedanken? Denke ich noch? Eine Rauchschwade aus meiner Lunge gesellt sich zu den anderen im Raum. Es ist ein enger, kleiner , stinkender Keller. Meine Zuflucht. Hier komme ich her, wenn ich mir meiner selbst bewusst werden will, wenn ich die reine Klarheit in meinem Kopf vermisse. Meisten finde ich sie hier wieder. Nicht so heute. Weit entfernt höre ich das schrille Rufzeichen meines Telefons, aber zu weit weg für mich. Träume!

 

Das “Gedicht” breitet sich vor mir aus. Von was wurde ich geritten als ich das schrieb? Von demselben das mich jetzt reitet, das mich heute ritt, als ich sie sah. Ihr “zu sagen was ich fühle” ? Schwachsinn. Der Nebel der sich um mich hüllt wird mit jeder Zigarette dicker. Jeder will etwas von mir, aber ich will nur was von ihr. Ich kann nicht anders - auch wenn ich dabei bin alles zu verlieren. Sie! Sie kann ich nicht verlieren, denn ich habe sie nie gewonnen. Sie! Der Nebel wird dichter.

 

Heute wurde ich gekündigt. Aber was macht das schon? Was macht das schon? Zu vielen Freunden habe ich den Kontakt verloren, denn was will man mit mir machen? Aber was macht das schon? Was macht das schon? So lange ich noch sie habe. Besser: Meine Träume! Und diesen Raum: Denn die einzige , die ihn je richtig betreten hat ohne in ihm verloren zu gehen ist sie. Und sie tut es jedes mal, jeden Tag - mit mir!

 

Es ist gut, dass ich jetzt soviel Zeit habe. So ist es mir möglich sie zu sehen - ich verfolge sie. Aber sie bemerkt mich nicht. Zum Glück bemerkt sie mich nicht. Ich kann sie betrachten - in voller Ruhe und Hingabe, kann ich sie mir ausmalen. Schwindel und Rausch ergreifen Besitz von mir. Ich lese es und es ist so.

 

Heute kann ich nicht lange verweilen. Ich bin glücklicher als sonst, wenn ich hierher komme. Denn sie kam zu mir und stellte mich zur Rede. Ich jedoch konnte nicht reden. Sie stand vor mir und sah mich an. Ich stand vor ihr und glotzte sie an. Irgendwann stammelte ich: “Ich liebe Dich!” Sie lachte nur ihr fröhliches, unterdrücktes, verdutztes aber engelsgleiches Lachen, das mich traf, wie ein brennender Pfeil, der sich langsam, aber stetig durch die Gedärme bohrt und in der Mitte stecken bleibt - Brennend! Als ich mich umdrehen und für immer verschwinden wollte, berührte mich ihre Hand an der Schulter. Sie hielt mich zurück. Langsam schweifte mein Blick von ihrer Hand über die weiße, glatte Haut ihres Armes, über ihre zarte Schulter bis hin zu ihrem Gesicht - zu ihren Augen, wo er verweilte und in meinem Kopf immer noch verweilt. Sie ließ mich sogar zu ihr, an sie heran. Ich weiß nicht wieso. Ich weiß nicht was ich sagte. Ich weiß nur eines. Ich werde sie wiedersehen und wieder mit ihr sprechen, wenn ich kann. Ihr wieder “sagen was ich fühle”, wenn ich es kann. Nun will ich diesen Raum verlassen und zu ihr gehen.

 

Nach Wochen, nach Monaten betrete ich meinen Keller jetzt wieder. Das erste Mal nicht allein. Denn jetzt bin ich nie mehr allein, ich teile alles mit meiner zweiten Hälfte. Sie ist diesmal auch körperlich bei mir. Zuerst hatte ich noch gezögert als sie hier herein wollte, aber nicht lang. Wer kann auch ihrem Blick widerstehen? Wenn es jemand gibt, so kann er nicht aus Fleisch sein. Der alte Rauch von Zeiten, die jetzt weit zurückliegend scheinen hängt noch zwischen den Mauern. Ich habe mich von diesem Laster befreit, denn sie hat es nicht. Sie hat keine Sünden zu beichten. Allein ihre bloße Anwesenheit erfüllt diesen Raum mit mehr Leben und Farbe als er je sah und ich ihm je zutraute. Sie sagt nichts. Ich weiß nicht was in ihr vorgeht, ich weiß es nie. Ich bin glücklicher als ich es jemals war. Nur für sie lebe ich. Sie geht. Ich folge ihr.

 

Erneut sind Wochen und Monate vergangen, viele, von Wolken bedeckte Monde vorbeigezogen bis ich wieder in meinen Keller trete. Wieso hab ich das nur getan? Ich wusste, dass ich für sie töten würde, aber so? Er hat sie wohl glücklich gemacht. Glücklicher als ich es konnte, obwohl ich alles getan habe, was in meiner Macht stand. Man hätte es so weiterlaufen lassen können, aber ich konnte nicht. Ihr ging es gut. Das ist eigentlich alles was ich mir wünsche, aber mir ging es nicht gut. Ich konnte nicht anders. Als die Unterhaltung mit ihm entglitt - als er nur noch leugnete, da konnte ich nicht anders; ich musste zuschlagen; ich musste das Messer nehmen; ich konnte nicht anders. Wie in Trance, aber trotzdem mit einer erheblichen Geschwindigkeit und Wucht schnellte meine Faust vor. Es knackte und Blut lief aus seinem Gesicht. Ein Schlag in die Magengrube. Er knickte zusammen - den Schmerz in der Hand beginne ich erst jetzt zu fühlen. Ich trat in ihn und er übergab sich.   Angewidert nahm ich das Küchenmesser und stach in ihn - immer wieder und wieder. Ich verließ ihn. Nun ist er tot und sie wird nicht mehr so fröhlich sein und so kann ich auch nie mehr glücklich sein. Denn ich bin schuld an ihrem Unglück. Nun muss ich wohl den steinigen Weg der Busse gehen und ihr gestehen, was ich tat und dass ich es nur für sie tat. Aber auch das wird nichts ändern. Es war ein Fehler. Die Klarheit und Vernunft versanken, jetzt muss ich mich auf den Weg zu ihr , zu meinem Licht machen.

 

Nun sind erst wenige Stunden vergangen und ich sündigte schon wieder. Das Schlimmste was ich tun konnte tat ich. Sie war entsetzt über mich und war böse mit mir; sie leugnete und wollte mich verlassen. Jetzt hat sie mich für immer verlassen, denn ich brachte das Licht zum erlischen, da ich sie nicht gehen lassen wollte. Durch Liebe nahm ich mir die Liebe, aber die Liebe bleibt. Sie ist unsterblich...... Weit entfernt höre ich den Ruf von Männern nach mir. Ich höre wie eine Tür aufgebrochen wird und wie Menschen die Treppe hinunter steigen. Sie betreten den Raum, der eh nicht mehr mir allein gehörte und nehmen mich mit hinaus.

 

Jetzt sitze ich in einem anderen, ähnlich kargen Raum verurteilt wegen der Liebe, der grenzenlosen Liebe, der Besessenheit. Langsam bin ich auf dem Weg zum wahren Lichte.

 

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