In Oz keine Wahrheit
Vater hat wieder einen mitgebracht. Wie
schon so oft. Ich weiß nicht, der wievielte es ist. Ich weiß
nur, dass es mich nicht zu kümmern hat. Es wird so sein wie
immer. Nichts neues, nichts besonderes. Es ist immer das selbe
mit meinem Vater, dem König.
Prinzessin, geh spielen! ruft er
mir zu. Für ihn bin ich immer noch das kleine Mädchen, nicht
eine Frau, die ihm entfliehen will. Mit gesenktem Kopf schleiche
ich zum Tisch, beginne mit dem Spiel, das ich immer spielen muss.
Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich mich weigere. Aber ich
habe Angst es herauszufinden. Also spiele ich, obwohl ich dieses
Spiel hasse. Man kann es nicht lernen, man gewinnt nur durch Glück.
Doch es freut meinen Vater, wenn ich gewinne und seine alten trüben
bösen Augen glänzen. Ich muss ihm diese Freude einfach lassen,
darum sage ich ihm nicht die Wahrheit.
Der Junge wird hereingebracht, er mag in
meinem Alter sein. Arm ist er, das sieht man. Aber das sind sie
alle. Die Streuner, draußen vor Vaters Palast.
Im Spiegel über meinem Spieltisch, wie sie
ihn auf die Liege fesseln, wie Vater ihm ins Gesicht schlägt.
Wieder und wieder mische ich die Karten. Ich bin beschäftigt,
Vater, lass dich nicht stören... Eine Karte nach der anderen
lege ich auf den Tisch., mein Blick schweift in die Ferne. Die
Mauern halten mich nicht auf, Vater! Er holt die Peitsche. Ich höre
ihn zum Schrank schlurfen. Ich konzentriere mich ganz auf die
Karten. Die Peitsche knallt. Ich sehe weg, alles ist gut, solange
er nur nicht schreit.
Noch einmal saust die Peitsche nieder,
wieder kein Schrei. Herz Ass, Pik Ass, Karo Bube, Kreuz Acht.
Verloren. Neu mischen. Mein Blick fällt wieder auf den Jungen.
Er ist geknebelt, zwei blutige Striemen zieren seine Brust. Vater...
Warum?
Für Sekunden Stille. Nur sein Atem, schwer,
langsam. Vaters Atem, pfeifend, viel zu schnell. Mein Atem, fast
nicht vorhanden.
Ich starre auf den Tisch. Pik Ass, Karo
Bube, Herz Ass, Herz Neun. Verloren. Neu mischen. Schlurfende
Schritte, verstohlen blicke ich zum Spiegel. Vater humpelt wieder
zum Schrank. Was kommt jetzt? Rohrstock? Kette? Ein neues
Werkzeug, mit dem er die Armut aus dem Volk prügeln will? Vater,
du bist wahnsinnig, auch wenn du König bist... Pflichtbewusst
mische ich die Karten abermals, ohne zu wissen warum. Ich starre
noch immer zum Spiegel.
Der Junge dreht den Kopf zu mir, verächtlich
wende ich den Blick ab, nur um Sekunden später doch wieder
hinzusehen. Er sieht mich an und ich erstarre. Im Schein der
Kerzen taumelt eine schillernde Träne über sein Gesicht. Alles
an ihm scheint zu rufen: Rette mich! Der stumme
Schrei trifft mein Herz wie ein Pfeil.
Hast du gewonnen, Prinzessin?
Vater steht plötzlich hinter mir, die Hand, die gerade noch die
Peitsche hielt, auf meiner Schulter. Ja, schon dreimal,
antworte ich und lächle, obwohl mir nicht danach zu Mute ist.
Schnell hebe ich die Karten wieder vom Tisch auf, Pik Sieben,
Karo Dame, Herz Dame, Karo Acht. Auch Vater lächelt. Seine trüben
Augen sehen nicht, dass ich verloren habe. Wie immer. Das
ist schön, Prinzessin. Du wirst immer besser! Ich fühle
mich schuldig, ihn immer wieder zu belügen, doch vielleicht lässt
er den Jungen gehen, wenn er sanft gestimmt ist.
Ich vertiefe mich wieder in das Spiel. Pik
Ass, Karo Zehn, Karo Acht, Herz Zehn. Verloren. Vater lächelt
noch immer, schlurft zurück, schlägt mit der Kette zu.
Innerlich fahre ich zusammen, lasse mir jedoch nichts anmerken.
Tief in mir schreit eine Stimme: Geh! Befreie ihn!
Ich gucke zum Spiegel. Ich sehe sein Gesicht. Tränenüberströmt,
doch trotzdem oder gerade deswegen? schön, so
wunderschön in seiner Angst... Ja, ich muss Vater aufhalten! Die
Kette kracht erneut nieder, winzige rote Tropfen benetzen das
wunderschöne Gesicht. Nicht! Vater, hör auf! Pik Ass, Karo
Dame, Herz Ass, Kreuz König. Verloren. Neu mischen. Schweigen.
Der nächste Hieb, ein vom Knebel erstickter
Schrei. Seine Augen. Seine Tränen. Sein Zittern. Sein Blut.
Vater, lass ihn gehen, mischen, ziehen, legen, verloren. Ich will
aufspringen, aber rühre mich nicht, als Vater wieder zur
Peitsche greift. Ein kräftiger Hieb, blutige Spuren auf der Haut
zeugen von der Tat, die ich nicht zulassen wollte. Vater, lass
ihn leben! Töte ihn nicht, jeden, aber nicht ihn!
Als könne er meine Gedanken lesen... Vater
sieht mich strafend an, sofort mische ich die Karten wieder. Tränen
sammeln sich in meinen Augen, als Vater wieder zuschlägt, doch
ich gewähre ihnen nicht zu fließen. Vater, ich liebe ihn! Er prügelt
weiter. Ich spiele weiter. Er hustet, doch Vater hört nicht auf.
Plötzlich ist es still, ganz still. Ich lege die Karten auf den
Tisch. Vaters Atem pfeift. Herz Ass. Ich halte die Luft für
einen Moment an. Herz König. Vater, ich liebe ihn! Herz Dame.
Prinzessin, er ist endlich tot. Herz Bube. Hast
du wieder gewonnen? fragt Vater und schlurft auf mich zu.
Schnell hebe ich die Karten wieder auf, mische sie mit den
anderen und schüttele den Kopf.
Nein, Vater. Diesmal nicht.