Irgendwo in San Fernando

 

Schwer lag die Abendsonne auf den Dächern der Stadt. Irgendwo im Westen verfärbte der Himmel sich langsam in ein tiefes Rot. Kein Wind durchbrach die drückende Hitze, die vom glühenden Asphalt der Straßen und Hinterhöfe aufstieg. Nur selten fand ein leises Geräusch seinen Weg nach oben.

 

„Toulouse?“

„Ja?“

„Wir können nicht ewig hier oben rumsitzen und nichts tun.“

„Warum nicht? Mir gefällt dieses Dach.“

„ Wir müssen sie wegschaffen. Oder abhauen.“

„Nein.“

„Lou!“

„Ja.“

„Du bist verrückt!“

„Bin ich nicht. Ich liebe sie.“

„Das ist egal.“

„Ist es nicht.“

„Doch. Sie ist tot, begreif das endlich!“

„Ist sie nicht.“

„Doch!“

„Und wenn schon...“

„Wie, ‚und wenn schon’? Wir können hier nicht rumsitzen als wäre nichts passiert!“

„Können wir wohl.“

„Und wenn sie jemand findet?“

„Nichts. dann findet er sie eben.“

„Genau. Und dann sitzen wir in der Tinte.“

„Unsinn.“

„Nichts Unsinn! Dann sind wir dran!“

„Wieso?“

„Na, weil sie tot ist!“

„Patrice, du bist ein Panikmacher!“

„Lou! Hör auf mit dem Unfug! Wir können sie nicht da liegen lassen und seelenruhig hier sitzen bleiben!“

„Hm. Dann lass mich sie wenigstens noch ein wenig ansehen.“

„Wozu?!“

„Ich will Abschied nehmen.“

„Fünf Minuten, ok? Dann hauen wir ab. Ich will deswegen keinen Ärger kriegen!“

„Wieso sollten wir Ärger kriegen?“

„Weil wir schuld sind, Lou!“

„Nein. Sie ist gesprungen!“

„Ja, weil du ihr erzählt hast, sie könne fliegen, du Idiot!“

„Aber das konnte sie doch! Wir alle können fliegen!“

„Spinner! Wir sind ja auch Raben!“

„...und ... und sie... war kein...?“

„Guck nicht so. Wenn ich es dir doch sage!“

„... wirklich?“

„Natürlich. Guck sie dir doch mal an!“

„...hm...“

„Und?“

„Ich glaube, du hast recht. Lass uns abhauen.“

 

Langsam breiteten die Raben die Flügel aus, schwangen sich leichtfüßig über die Dachkante des Hochhauses und ließen ihr Schwarz eins werden mit dem des nächtlichen Himmels.

 

ZURÜCK