"Der
Name ist Kate." Als er aufblickte, stand eine Frau neben ihm.
"Frank."
"Wusste
ich." Sie lächelte, da sie seine Verwunderung bemerkte.
"Eine Freundin von Lisa."
Sie
trug schwarze Jeans und ein dünnes T-Shirt, die Haare waren lang
und hinten zusammen gebunden. Die Muskeln in seinem Nacken
schmerzten. Nervös starrte er auf das leere Glas in seiner Hand.
"Ihre
Bilder sind etwas besonderes."
Die
Kunstgalerie befand sich im unteren Teil eines barocken Gebäudes.
Die Augen der Leute hatten sich an den Arbeiten der Künstlerin
fest gefressen. Lisa hatte ihren Namen erwähnt, doch Frank
konnte sich nicht erinnern.
"Ich
besuchte einige Malkurse." Kate verzog die Lippen. "Aber
ich habe nicht das Talent dazu."
Sie sah
gut aus. Viel zu hübsch, um sich für ihn zu interessieren. Sein
Bauch wölbte das Hemd über dem Gürtel nach aussen, die Haare
hatten irgendwann angefangen, dünner zu werden. Er begann in der
Hitze zu schwitzen. Die meiste Zeit verbrachte er in seinem
Atelier zwischen Pinsel und Farbtöpfen. Die Gegend war mit den
Jahren herunter gekommen. In den Häusern lebten Leute, die zu
jung waren, um wählerisch zu sein, und Leute, die zu alt waren,
um weiterzuziehen.
"Es
braucht nicht viel, um ein Bild zu malen", meinte er.
Lisa
stand neben der Treppe, die in den oberen Teil der Galerie führte
und unterhielt sich mit zwei Frauen in schwarzen Anzügen. Keine
der drei interessierte sich für die Bilder. Als sie ihn sah, hob
sie gut gelaunt eine Hand. Kate betrachtete das Bild eines
nackten Mannes an der Wand, ihre Augen blieben an dem bleichen
Hintern hängen.
"Sie
hat den Stil der Leute getroffen", meinte sie.
Frank
dachte an das Bild, das er in einem Anflug von Verzweiflung in
der vergangenen Nacht gemalt hatte, ein Chaos schreiender Farben.
Das T-Shirt spannte sich über Kates Brüsten, er konnte die
Brustwarzen darunter deutlich ausmachen.
Er riss
sich davon los und bemerkte, dass Kate ihn die ganze Zeit
beobachtet hatte. Verlegen hob er das Glas an die Lippen und
leerte es hastig. Er wünschte, er hätte sich gründlich
betrunken, bevor er hierher kam.
"Besorgen
wir uns etwas zu trinken", schlug sie vor und schob eine
Hand bei ihm unter.
Die
Kabine glitt mit einem kratzenden Geräusch nach oben. Kate
lehnte an seiner Seite, ihr Atem roch nach Alkohol. Die Wärme
ihres Fleisches erregte ihn. Er schob das Gitter hoch, dahinter
gab es einen Tisch mit einem Sofa. In einer Ecke stand ein altes
Fernsehgerät neben einer Musikanlage. CDs und Schallplatten
stapelten sich an der Wand. Durch die grossen Fenster fiel das
Licht der nächtlichen Stadt. Draussen hing die Mondscheibe am
Himmel, graue Wolkenstreifen zogen daran vorbei. Autoscheinwerfer
krochen über die Hängebrücke in die andere Stadthälfte. Er
mochte den Blick auf die Häuser der Strasse und den dunklen
Fluss dahinter.
Kate
beugte sich zu ihm hin und küsste seine Lippen. Dann liess sie
ihn stehen, um sich die Bilder anzusehen. Mit einem Knistern
schalteten sich die Lampen an der Decke ein. Er öffnete den Kühlschrank.
"Ein
Bier?" fragte er und hielt zwei Büchsen hoch.
Sie
blickte über die Schulter. "Immer."
Er
liess sich in das Sofa gleiten. Das kühle Bier strömte seine
Kehle hinunter, die Wirkung begann ihn zu entspannen. Während
sie zwischen den Bildern wanderte, nahm er einen Notizblock und
zeichnete mit Kohlestift ihre Umrisse. Das vertraute Gefühl des
Stifts in der Hand half ihm weiter. Sie nahm die Bierbüchse vom
Tisch und blieb in der Mitte des Raumes stehen.
"Das
Atelier gefällt mir."
Er hob
einen Finger an die Lippen. "Sag nichts", bat er.
Die
Striche wuchsen über das Papier, erzeugten neue Formen. Ihre
Hand kroch den Arm hoch, schob das T-Shirt von der Schulter. Er
sog die Luft ein, sein Herz hämmerte gegen den Hals. Die
Erregung machte ihn schwindlig. Doch er fuhr fort, sie zu
zeichnen. Die Kohle floss in die veränderte Gestalt. Dann glitt
sie neben ihn auf das Sofa, nahm den Notizblock aus seinen
Fingern und legte ihn auf den Tisch. Ungeschickt öffnete er ihre
Jeans, um sie nach unten zu streifen. Sein Atem ging heftig. Er
kletterte auf den nackten Leib, und sie begannen sich auf dem
Sofa zu lieben. Doch sie waren zu ungeduldig und zu betrunken. Es
dauerte nicht lange, bis sie erschöpft und enttäuscht
nebeneinander lagen, die Leidenschaft strömte aus ihren Gliedern.
"Das
macht nichts."
Er
nickte bloss. Sie verharrte eine Weile steif in seinen Armen, und
er dachte, sie sei eingeschlafen. Später stand sie auf und schlüpfte
in die Kleider. Zum Abschied küsste sie ihn flüchtig.
"Ich
melde mich, klar?"
"Bestimmt",
erwiderte er zweifelnd.
Sie
warf einen Blick auf den Notizblock. "Die Zeichnung gefällt
mir. Sie wirkt beinahe lebendig."
Er
lauschte auf das Geräusch des Lifts. Dann rollte er sich auf dem
Sofa zusammen, zu müde, um klar zu denken.
Das
Aufnahmegerät schaltete sich ein. Das Brummen der Stadt mischte
sich unter die blecherne Stimme des Bandes, danach wurde es eine
Sekunde still. Beim Gedanken an die vergangene Nacht verzog er
das Gesicht.
"Hallo,
Frank."
Sein
Kopf wummerte.
"Ich
bin's, Kate."
"Kate?"
murmelte er.
Ein
saurer Geruch hing im Raum. Er schob die Beine über den Rand des
Sofas, die Muskeln schmerzten bei der Bewegung.
"Es
tut mir Leid, ich wünschte, die Nacht wäre anders abgelaufen."
Er biss sich auf die Lippen, als er merkte, dass er mit einer
Maschine sprach.
Kates
Stimme klang unsicher. "Ich rufe später nochmals an."
Die
Verbindung wurde unterbrochen. Franks Blick glitt über den Tisch.
Die Seiten des Notizblocks waren herausgerissen worden. Die Blätter
lagen zerstreut auf dem Boden. Die Seiten waren leer, er konnte
die Zeichnung von Kate nicht mehr finden.
"Frank."
Eine
Gestalt stand neben dem Fenster. Ein Autoscheinwerfer glitt über
ihr Gesicht. Kates Haut wirkte blass.
"Du
bist es", stammelte er und starrte auf das Telefon. "Ich
dachte..."
Er
verstummte. Sie war nackt. In der Hand hielt sie ein
zerknittertes Stück Papier. In ihrem Rücken begann es zu dämmern.
Bilder lehnten an der Wand unter dem Fenster. Durch ihren Körper
hindurch konnte er die Umrisse der Bilder sehen. Benommen sank er
in das Sofa zurück.
Frank
stand vor dem Fenster und betrachtete den Nebel, der durch die
letzten Schatten der Nacht den Fluss entlang strich. Eine Hand
legte sich auf seinen Bauch, bleiche Finger wanderten die Haut
entlang. Er zuckte bei der Berührung zusammen.
"Lass
mich in Frieden."
Das
Gesicht der Frau war substanzlos, die schimmernden Augen
betrachteten ihn traurig.
"Du
bist nicht wirklich Kate", stiess er aus. "Du
existierst einzig in meiner kranken Vorstellung."
Sie kam
einen Schritt näher, ihre Seite schmiegte sich an seinen Körper.
Ihre
Stimme hauchte in sein Ohr. "Liebe mich."
Die
Finger legten sich um seinen Penis und begannen ihn zu reiben. Er
versuchte, zurückzuweichen, doch sie schlang ein Bein um ihn und
presste den Leib verlangend gegen seine Erektion. Das fahle Licht
des Morgens spielte mit ihren Gestalten, während sie auf den
kalten Boden sanken und sich zu lieben begannen.
Der
Pinsel glitt wie besessen über das Papier. An den Wänden hingen
Skizzen von Kate. Frank hatte angefangen, alte Bilder zu übermalen,
als ihm das Material ausging. Auf dem Tisch standen
Pizzaschachteln und leere Bierbüchsen neben den Farbtöpfen.
Schweiss glänzte auf seinem nackten Bauch. Seine Augen hingen an
Kate. Sie lag in der Mitte des Raumes auf dem Sofa, den Kopf nach
hinten geneigt. Die Haare fielen bis auf den Boden. Er studierte
die Formen ihrer Brüste, die Linie der Hüften. Sie sprach die
ganze Zeit nicht viel, doch das störte ihn nicht.
"Bist
du hungrig?" fragte er.
Sie schüttelte
den Kopf. "Liebe mich."
Er
grinste. Kate war das Beste, das ihm zustossen konnte. Es hatte
eine Weile gedauert, bis er dies erkannte. Es kümmerte ihn nicht
länger, dass sie eine Illusion war. Es war ihm gleichgültig,
verrückt zu werden. Sie berührte ihre Schenkel und öffnete
verlangend die Lippen. Beim Gedanken an ihr Fleisch begann sein
Penis anzuschwellen. Das Gefühl war intensiver als alles, was er
seit Jahren erlebt hatte.
"Ich
bin gleich soweit."
Als es
an der Tür klingelte, legte er den Pinsel beiseite. Er schlüpfte
in seine Shorts und ging, um aufzuschliessen. Lisa schob sich an
ihm vorbei. Kate hatte sich in den Nebenraum zurückgezogen.
"Was
ist mit dir, Frank?" erkundigte sich Lisa besorgt. "Bist
du krank?"
Sie
legte ein Hand an seine Stirn. Sie hatte die Haare kurz
geschnitten und blond gefärbt, ihre Lippen waren dunkelrot.
"Ich
versuchte dich seit Tagen zu erreichen, aber deine Leitung
funktioniert nicht richtig."
Er
streifte das Telefon mit einem schuldbewussten Blick. Irgendwann
hatte er das Kabel aus der Wand gerissen. Die Arbeit mit Kate
vertrug keine Störungen.
"Deine
Wohnung sieht fürchterlich aus."
"Du
kennst das. Ich befinde mich in einer kreativen Phase",
sagte er.
"Ich
habe gute Neuigkeiten", erklärte sie. "Es ist mir
gelungen, ein Bild von dir zu verkaufen."
Sie
drehte den Kopf. Kate stand in der Tür und blickte sie
schweigend an.
Frank
legte einen Arm um ihre Schulter. "Kate und ich brauchen
etwas Ruhe. Die Ideen stürzten auf mich ein." Er begleitete
sie zur Tür. "Die Geschichte mit dem Bild klingt grossartig.
Ich werde mich melden, sobald ich soweit bin, klar?"
Frank
schloss die Tür hinter Lisa und lehnte sich erschöpft dagegen.
"Liebe
mich", bat die Stimme in seinem Rücken.
Er
grinste. "Du raubst mir den Atem."
Frank
sah von dem Bild auf, er hatte jegliches Gefühl für die
verstreichende Zeit verloren. Bartstoppeln bedeckten sein Kinn.
Der Abfall, der die Wände hoch wuchs, drohte den Blick auf die
Bilder zu versperren. Er wusste nicht, wie viele Tage er die
Wohnung nicht verlassen hatte. Gähnend streckte er sich und
betrachtete das Bild. Kate hatte sich verändert. Ihre Gestalt
hatte Substanz gewonnen, sie glich nun vollständig jener
wirklichen Kate, die er in der Kunstgalerie kennen gelernt hatte.
"Das
Bild gefällt mir." Kate blieb neben ihm stehen und kaute
auf einem Apfel. "Findest du mich begehrenswert?"
Er
nickte erschöpft. "Kannst du daran zweifeln?"
Sie
beugte sich über den Tisch und nahm einen der Stifte, die
zwischen den Skizzen lagen.
"Ich
habe auch schon gemalt." Sie runzelte die Stirn. "Früher.
Ich kann mich nicht richtig erinnern."
Sie
liess den Stift fallen und schob die Arme um seine Hüften. Ihre
Finger glitten in die Shorts.
Er
ergriff ihr Handgelenk. "Ich bin nicht in der Stimmung."
Sie
wich enttäuscht zurück.
"Wir
haben uns eben erst geliebt", erinnerte er sie. "Ich
brauche dazwischen etwas Ruhe, um mich zu erholen."
"In
Ordnung." Sie zuckte mit einer Achsel und wandte sich ab.
Der
Raum war dunkel. Frank lag auf dem Sofa und konnte sich nicht
erinnern, eingeschlafen zu sein.
"Kate?"
Keine
Antwort. Er richtete sich auf. Als er die Füsse auf den Boden
setzte, stiess er gegen eine Bierbüchse. Er begriff, dass er so
nicht weiter machen konnte. Es war Zeit, sein Leben wieder in den
Griff zu bekommen. Irgendwie musste er die Sache mit Kate klären,
seine Liebesphantasien waren ihm aus der Hand geglitten. Er überlegte,
einen Therapeuten aufzusuchen, Lisa kannte bestimmt eine Adresse.
Sie hatte viel Erfahrung mit Künstlern. Im gedämpften Licht,
sah er Skizzen auf dem Boden liegen. Er begann sie aufzuheben,
bis er den ungewohnten Malstil bemerkte. Die Zeichnungen stammten
nicht von ihm. Er betrachtete das Papier in seiner Hand. Es war
ein Bild von ihm, wie er auf dem Sofa schlief. Kate musste es
angefertigt haben. Er hob andere Skizzen auf. Die Striche
verrieten die mangelnde Übung im Umgang mit den Stiften, doch
das Resultat war nicht schlecht, sie schien mit jeder Zeichnung
dazuzulernen.
"Bist
du noch müde?"
Er
legte die Blätter hin. Kate stand ihm gegenüber, er hatte sie
in der Dunkelheit nicht bemerkt.
"Was
ist mit dem Licht?" fragte er.
"Ich
mag es so."
Er
deutete auf die Zeichnungen. "Du solltest daran weiter
arbeiten."
Er
kniff die Augen zusammen, um ihr Gesicht zu erkennen. Ein Geräusch
drang aus einer Ecke des Ateliers. Sie waren nicht allein. Er
versuchte aufzustehen, doch ihm wurde schwindlig bei der Bewegung.
"Es
tut mir Leid, Frank", flüsterte Kate. "Ich benötige
deine gesamte Liebe."
Ein
Mann trat in das Licht einer Neonreklame, die auf der gegenüberliegenden
Strassenseite blinkte. Erschrocken sog Frank die Luft ein. Er
kannte das Gesicht des Mannes, er begegnete ihm jedesmal, wenn er
sich in einem Spiegel betrachtete. Der Mund des Mannes verzog
sich zu einem Grinsen.
"Du
kannst nichts dafür", erklärte Kate.
Frank
schluckte. "Ich verstehe das nicht."
"Das
brauchst du nicht", sagte das Spiegelbild kalt.
Der
Mann war nackt, in der Hand hielt er ein Messer aus der Küche.
Frank versuchte zu schreien, als das Spiegelbild über ihn kam.
Doch der Mann arbeitete schnell und gründlich. Das dumpfe Hacken
der Klinge war das einzige Geräusch in der Nacht.