Flirt mit dem Tod
Luana
schaute über die Schulter zurück, lauschte angestrengt und
beschleunigte ihre Schritte. Obwohl sie in der Dunkelheit nichts
ausmachen konnte, spürte sie, dass der Mann noch immer hinter
ihr war. Irgendwo inmitten dieser mondlosen Nacht lauerte er und
näherte sich unaufhörlich, während Luana unter den Lichtkegeln
der Straßenlaternen entlang hastete, deren blasser Schimmer auf
dem Asphalt trügerische Sicherheit vorgaukelte.
Dies war keine Gegend, in der eine Frau um Mitternacht allein
unterwegs sein sollte, das wusste Luana. Zu wenige Menschen, zu
viele abgelegene Gassen und stockfinstere Hofeinfahrten. In
einiger Entfernung befand sich ein großer, hellerleuchteter
Glaskomplex. Eine Einkaufspassage, in der sich Luana am
Nachmittag eingekleidet hatte. Bis dorthin musste sie es schaffen!
Erneut wandte sie sich um. Und dann sah sie ihn, als er gerade in
den Schein einer Laterne trat. Fast glaubte sie, dieses Grinsen
auf seinem Gesicht zu erkennen. Einbildung, er ist viel zu
weit weg, beschwor sie sich. Sieh nach vorn! Geh
schneller!
Früher am Abend war sie in einem Gasthaus eingekehrt, einer
rauchgeschwängerten Spelunke, durch die laut und dumpf die Musik
dröhnte. Sie hatte sich an einen Tisch gesetzt und die anderen Gäste
beobachtet, zumeist Männer, die Karten spielten und tranken und
johlten. Die wenigen Frauen befanden sich allesamt in Begleitung.
Neugierig verfolgte Luana, wie sie lachten, dabei kokett ihre
Haare nach hinten warfen und bis auf Tuchfühlung an ihre Gegenüber
heranrückten, um gegen den
Lärm
anzureden.
Während ihre Augen zwischen den Tischen und der Bar hin und her
wanderten und die Menschen taxierten, fing Luana bewundernde
Blicke auf, ohne sich wirklich dafür zu interessieren. Sie
nippte an ihrem Getränk und musste lachen. Ja, sie war sich
ihrer Wirkung bewusst. Im Waschraum der Damentoilette, die sich
in der Einkaufspassage befand, hatte sie sich vor dem Spiegel
davon überzeugt, nachdem alle notwendigen Vorbereitungen
getroffen worden waren.
Die Tür öffnete sich und ein Schwall neuer Gäste strömte
herein. Sie entdeckte den Mann, noch ehe er sie bemerkte. Seine
imposante, grobschlächtige Erscheinung wurde verstärkt durch
ein enganliegendes Achselshirt, unter dem sich jeder einzelne
Muskel abzeichnete, und auf den bloßen Oberarmen prangten obszöne
Tätowierungen. Überrascht registrierte Luana die feinen
Gesichtszüge des Mannes, beinahe schon hübsch, die so gar nicht
zu seinem übrigen Äußeren passen wollten. Angewidert und
zugleich fasziniert starrte sie ihn an.
Die Hände lässig in den Hosentaschen einer verschlissenen
Lederhose vergraben schlenderte er zur Theke. Dabei drehte er im
Zeitlupentempo den Kopf und heftete seine Augen auf Luanas
tief ausgeschnittenes Dekolleté. Kalte Augen, die sie
erschaudern ließen. Sie zwang sich zu einem vorsichtigen Lächeln.
Sofort verzog sich der Mund des Mannes zu einem breiten Grinsen,
und er kam auf sie zu. Als er, ohne dazu aufgefordert zu werden,
einen Stuhl heranzog und sich neben sie setzte, ballte sie
unwillkürlich die Hände unter dem Tisch zu Fäusten. Doch sie lächelte
weiter und warf ihr Haar zurück, so wie sie es bei den anderen
Frauen gesehen hatte.
Ganz allein hier? fragte er mit tiefer Stimme und rückte
den Stuhl dichter an ihren.
Wie es scheint, jetzt nicht mehr, hauchte sie.
Sehr langsam schlug sie ein Bein über das andere und achtete
darauf, dass ihr ohnehin zu kurzer Rock mehr Haut freigab.
Der Mann leckte sich über die Lippen. Du bist nach meinem
Geschmack, Mädchen.
Ich bin kein Mädchen mehr, sagte sie ernst. Luana
beugte sich vor, bis sie fast seine Wange streifte. Ich bin
eine Frau.
Das ist kaum zu übersehen, erwiderte er, womöglich
noch breiter grinsend als zuvor. Eine verdammt scharfe
Braut.
Schon möglich...
Keine Sorge, in meinen Armen werden alle Weiber sofort mächtig
scharf.
Allmählich begann Luana, dieses Spielchen zu mögen. Der Mann
schien sich seiner Sache sehr sicher, es war nicht besonders
schwer, seine Gier zu wecken. Sie merkte ihm an, dass er schon
jetzt um seine Beherrschung rang.
Es dauerte weniger als eine halbe Stunde, bis sie plötzlich
seine Hand auf ihrem Knie spürte. Sie ließ es geschehen. Und
als sich raue Finger um ihren Nacken schlossen und er den Mund
auf ihren presste, öffnete sie bereitwillig die Lippen für
seine Zunge.
Hier ist es viel zu laut und zu voll, flüsterte er,
als er endlich von ihr abließ. Wir könnten uns ein
ruhigeres Plätzchen suchen.
Luana schüttelte den Kopf und stand auf. Es ist spät
geworden, ich muss jetzt gehen.
Verdammtes Luder, so läuft das nicht! fauchte er sie
an. Du glaubst wohl, dass du jetzt einfach aus dieser Sache
rauskommst...
Aber da war Luana bereits beim Ausgang angekommen und schlüpfte
ins Freie. Auf dem Gehweg war sie ein Stück so schnell gerannt,
wie es die unbequemen, hochhackigen Pumps erlaubten, und hatte
sich zum ersten Mal umgeblickt, als die Tür der Gaststätte geräuschvoll
zugeschlagen worden war. Der Mann war ebenfalls in die Nacht
hinaus getreten.
Jetzt steuerte Luana geradewegs auf die Einkaufspassage zu. Nur
noch wenige Meter, dann hatte sie es geschafft.
Bleib stehen! rief der Mann hinter ihr. Ich
kriege dich ja doch!
Die gläserne Drehtür der Einkaufspassage rotierte ungeachtet
der Tatsache, dass die Läden und Cafés darin längst
geschlossen hatten. Luana sprang hinein. Sie lief auf die
Rolltreppe zu, die sie zu ihrem Ziel bringen würde. Anders als
am Nachmittag stand sie still, und Luana kam auf den ungewohnten
Schuhen langsam voran.
Schon hatte auch der Mann die Treppe erreicht. Mehrere Stufen auf
einmal überspringend stürmte er hinauf.
Oben angekommen eilte Luana auf die Tür zu, die zur
Damentoilette führte. Eine Münze! Oh, das hatte sie nicht
bedacht. Man musste zuerst eine Münze einstecken!
In diesem Moment wurde sie grob gepackt und gegen die Wand gedrückt.
Brauchst du etwa das hier? fragte der Mann und hielt
ihr ein Geldstück hin. Wir werden jetzt gemeinsam dort
reingehen. Da drin sind wir völlig ungestört. Nur du und ich!
Er griff ihren Arm und zerrte sie in den Waschraum. Unsanft stieß
er sie gegen das Becken.
Luana fiel vornüber. Der Gehschlitz ihres Rockes wurde
aufgerissen. Sie zuckte zusammen, als der Mann sich von hinten an
sie presste, eine Hand unter ihr Shirt schob und mit der anderen
so drängend zwischen ihre Beine fasste, dass es schmerzte.
Du brauchst mir nicht wehtun, sagte sie sanft. Wir
wollen doch Spaß haben, oder?
Überrascht ließ der Mann sie los. Aus euch Weibsvolk soll
einer schlau werden, keuchte er.
Luana streifte die Kleidung vom Körper, während der Mann sie
ungläubig und gleichzeitig lüstern musterte. Dieser Kerl war
nicht einer von denen, die sich mit unnötigen Zärtlichkeiten
aufhalten würden, und das war gut so.
Dann komm her, forderte sie ihn auf und schob sich
auf den Waschtisch.
Als er in sie eindrang, lächelte sie. Doch in seiner ungezügelten
Lust bemerkte er dies ebenso wenig wie ihr Tasten nach dem
Seifenspender. Nicht lange, dann fanden ihre Finger, wonach sie
suchten. Ein berauschendes Glücksgefühl durchflutete sie, während
sie das geschmeidige Metall umschloss, das ihr seit ihrer
Kindheit schon oft gute Dienste geleistet hatte, und das nun
zwischen dem kleinen Kasten und den Fliesen klemmte.
Im gleichen Augenblick, als sein Samen sich in sie ergoss, zog
sie das Messer hervor. Nur ein kurzer, schneller Schnitt. Der
Mann griff sich an die Kehle und sank inmitten seines Blutes auf
die Knie.
Luana sprang vom Waschbecken. Dieser Mann war unwichtig. Sie
hatte bekommen, was sie wollte. Alles hatte sich genauso
zugetragen, wie die weise Alte vorhergesagt hatte. Und im nächsten
Frühjahr würde ihrem Stamm eine neue Kriegerin geboren werden,
eine Amazone wie sie selbst. Ihr Kind!
Rasch holte sie ihr eigenes, langes Gewand aus der Toilette, wo
es seit dem Nachmittag versteckt lag. Sie musste sich beeilen,
denn vor ihr lag ein langer Fußmarsch bis in den Stadtpark. Das
Tor zu ihrer Welt blieb nur noch bis zum Sonnenaufgang geöffnet...