Diese Kurzgeschichte ist Katrin gewidmet, die mich mit ihrem Gedicht „DAS EINSAME PHANTOM“ zu dieser Story inspiriert hat.

 

DAS PHANTOM II

von Ingo Löchel

 

 

Allein durchmisst er alle Zeit,

dabei wär' er so gern zu zweit.

 

So wählt er sich von Zeit zu Zeit

aus ebenjener Einsamkeit

 

eine Seele von den vielen

aus als Kurzzeitglücksgespielen.

 

KATRIN GLASE

 

 

*******

 

 

ER war auf der Suche. Auf der Suche nach etwas, was er niemals besessen hatte. Einen Menschen aus Fleisch und Blut.

Doch niemand hielt es lange bei IHM aus. Denn mit IHM zusammen zu sein hieß dem Tod zu begegnen. Denn der Tod war SEIN ständiger Begleiter, ein Begleiter, den ER niemals wieder los werden würde ....

 

*******

 

Wie jeden Abend schlich ER durch die Straßen der Stadt. Einer Stadt, die ER abgrundtief haßte, aber mit der für immer verbunden blieb, bis ER vielleicht eines fernen Tages dieses Band für immer lösen würde. Doch dieser Tag war noch lange nicht gekommen.

Die Menschen, denen er auf den Straßen begegnete, konnten ihn nicht sehen. Ihre abgestumpften Sinne reichten dafür einfach nicht aus. Die meisten sahen so wie so nur das, was sie sehen wollten.

Plötzlich blieb er stehen. ER konzentrierte sich auf ein bestimmtes Haus und auf ein bestimmtes Fenster, hinter dem etwas Schlimmes passiert war. ER verzog angewidert das Gesicht und schloß dabei die Augen.

Vor seinem inneren Auge erlebte er die Untat mit. Er mußte mit ansehen, wie ein Mensch sein Leben aushauchte und der Täter schien nicht die geringste Reue über seine verruchte Tat zu verspüren. Im Gegenteil. Er weidete sich schier an der Todesangst seines Opfers und badete sogar in dessen Blut.

Was veranlaßte nur Menschen dazu, solche verabscheuungswürdigen Verbrechen zu begehen? Waren diese Menschen einfach nur krank oder hatte sich in ihre Seele etwas Böses eingenistet, das sich mit den Jahren immer weiter in dem Geist des Befallenen ausbreitete und schließlich die Oberhand über dessen Körper übernahm?

Für das Opfer konnte Er nichts mehr tun und auch der Täter würde wahrscheinlich ungestraft davon kommen. Oder, wenn er gefaßt würde, als psychisch labiles Produkt einer dekadenten und dem Verfall preisgegebenen Gesellschaft in die Klapse eingeliefert. Es sei denn ...

Plötzlich bildete sich ein diabolisches Grinsen auf SEINEM Gesicht. Und SEIN Geist entwarf einen grausigen Plan.

 

*******

 

Er hatte sie umgebracht. Seine Hände waren mit dem Blut seines Opfers völlig beschmiert. Doch anstatt in Panik zu geraten blieb er ganz ruhig und er überlegte, was er nun mit ihren Überresten anfangen sollte.

Es gab die verschiedensten Möglichkeiten, doch keine schien ihm wirklich sicher, bis ihm etwas einfiel: Der verrückte Professor. Ja, dieser bescheuerte Wissenschaftler war immer auf der Suche nach Leichen und es war ihm völlig egal, wo sie herkamen oder wie sie zu Tode gekommen waren. Und das beste war, er bezahlte auch nicht gerade schlecht dafür.

Nun überlegte er, wie er die Leiche ohne Aufsehen zu erregen zum Professor schaffen konnte. Doch bevor er einen Plan fassen konnte, mußte er erst einmal die Leiche verpacken und das Zimmer säubern, das mit dem Blut seines Opfers nur so bedeckt war. Eine blutige Aufgabe, aber sie mußte getan werden.

 

*******

 

ER beobachtete interessiert den Täter. ER tauchte in dessen Gedanken ein und erfuhr sehr viel über die Abgründe der Seele dieses Mannes.

Es war nicht die erste Untat gewesen, die diese Ausgeburt begangen hatte. Er hatte schon vielen Menschen das Leben genommen. Und bis jetzt war ihm keiner auf die Schliche gekommen.

„Also so läßt Du Deine Leichen verschwinden“, murmelte ER, als er eine weitere grausige Wahrheit erfuhr.

Was hatte die Erde nur verbrochen, daß sie solche Wesen hervorgebracht hatte? Wesen, die sich nicht scheuten ihresgleichen auf grausamste Art und Weise zu ermorden und Menschen, die von diesen Untaten auch noch profitierten.

 

*******

 

Als er das Zimmer gesäubert hatte, war immer noch nicht das Problem gelöst, wie er die Leiche transportieren sollte. Er brauchte Hilfe, Hilfe von kompetenter Seite. Er griff zum Telefon und wählte eine bestimmte Nummer.

 

*******

 

Der Professor war überglücklich, eine neue und noch dazu so schöne und junge Leiche zu bekommen. Für seine Versuche, würden sie je bekannt werden, würde er wahrscheinlich in die Irrenanstalt eingeliefert werden. Doch er war nicht verrückt. Nein, er war genial. Doch keiner außer ihm selbst verstand seine Genialität. Ein Los jedes Genies, wie er sich immer wieder selbst beteuerte. Er überreichte dem Mann, der die Leiche gebracht hatte ein Kuvert. Als dieser kurz den Inhalt betrachte, machte sich ein widerliches Grinsen auf seinem Gesicht bemerkbar. Er nickte und war zufrieden.

„So viel hatte ich eigentlich gar nicht erwartet, Professor.“

„Ja, aber bei so einer schönen und gut erhaltenen Leiche, sieht man von den vielen Wunden einmal ab, haben Sie dieses Geld mehr als verdient.“

Der Mann nickte und überlegte insgeheim, was denn dieser Verrückte mit all den Leichen nur anstellte. Aber eigentlich sollte es ihm ja egal sein. Er hatte sein Opfer entsorgt und dafür auch noch Geld bekommen. Was wollte er mehr? Als er das Haus verließ, ließ er einen sichtlich zufriedenen Professor zurück, der sich an der schönen Leiche zu ergötzen schien, bis er mit seinen grausigen Experimenten begann.

Der Mann blieb kurz vor dem Haus des Professors stehen, verstaute das Kuvert mit dem Geld und entzündete eine Zigarette, die er genüßlich rauchte. Nun hatte er alle Zeit der Welt. Und ein Problem weniger, um das er sich kümmern mußte.

 

*******

 

ER war dem Täter bis zu diesem Haus gefolgt. Und nun sah er ihn vor dem Haus stehen, als wäre nichts geschehen.

„Auge um Auge, Zahn um Zahn, mein Lieber“, dachte ER und ergriff die Initiative.

*******

 

„Haben Sie mal Feuer?“

Der Mann zuckte zusammen.

„Was ... ?“

Der Fremde hielt ihm eine Zigarette entgegen.

„Bitte verzeihen Sie, daß ich Sie so erschreckt habe, aber ich habe mein Feuerzeug nicht dabei und da ich Sie rauchen gesehen habe ....“

„Sie wollen .... Feuer?“

Der Fremde nickte freundlich.

„Ja, wenn es Ihnen nicht so viele Umstände macht.“

„Aber nicht im geringsten“, erwiderte der Mann, der sich von seinem Schreck wieder erholt hatte, griff in die Innentasche seiner Jacke und holte das Feuerzeug hervor.

„Wie geht es übrigens Katja?“

Der Mann zuckte wieder erschrocken zurück. Beinahe wäre ihm das Feuerzeug aus der Hand gefallen.

„Wem?“

„Na, Katja, die Sie gerade bei diesem Verrückten abgeliefert haben.“

„Aber woher wissen Sie ...“

„Bekomme ich nun Feuer oder nicht“, wechselte der Fremde das Thema.

„Ja, .... ja natürlich“, stammelte der Mann nun sichtlich irritiert und entzündete dessen Zigarette.

„Wie, denken Sie, ist es in der Hölle. Sehr heiß?“

„Was ...?“

Bevor es sich der Mann versah, brannte das Feuerzeug in seiner rechten Hand lichterloh. Das Feuer breitete sich blitzschnell weiter über Hand und Arm des Mannes aus und erfaßte schließlich auch dessen ganzen Körper. Der Mann kam noch nicht mal mehr dazu zu schreien, so schnell kam das Verderben über ihn.

 

*******

 

Als es an der Haustür klingelte schaute der Professor irritiert auf. Er sah auf die Uhr. Nein, heute erwartete er keine neue Lieferung. Doch die Neugierde siegte schließlich und so öffnete er die Tür.

„Ja, bitte“, fragte er den Fremden, der vor ihm stand.

„Entschuldigen Sie die späte Störung, Professor, aber ich habe eine Lieferung für Sie, die ich unbedingt heute Abend los werden will.“

„Eine Lieferung?“

„Ja, schauen Sie doch mal bitte!“

Der Professor öffnete vollends die Tür und ließ den Blick über die verkohlte Leiche wandern.

„Hmm“, meinte er. „Die ist aber nicht viel Wert.“

Der Fremde blickte ihn stumm an.

„Na gut. Packen Sie bitte mit an. Wir tragen sie erst einmal ins Haus“, sagte der Professor schließlich, der den Fremden so schnell wie möglich los werden wollte.

Als die Leiche schließlich auf einem der Seziertische im Keller des Hauses abgelegt war, griff der Professor in seinen Kittel und holte einige Geldscheine heraus.

„Reicht das?“, fragte er den Fremden.

Dieser schüttelte den Kopf.

„Aber nicht doch Professor. Die Leiche ist gratis.“

„Gratis?“, fragte dieser erstaunt.

„Ja, Professor. Für diesen meinen ersten Besuch müssen Sie nichts bezahlen, aber bei meinem zweiten sieht das ganz anders aus.“

 

*******

Der Täter war bestraft. Mehr hatte ER auch nicht gewollt. Doch die kurze Begegnung mit dem Professor hatte ihm leider die Erkenntnis eingebracht, daß sein Feldzug noch lange nicht beendet war.

Professor hin oder her: Dieser Mann war genauso krank, wie die vielen anderen, denen er auf seiner ewigen Wanderschaft durch die Stadt begegnet war. Vielleicht noch viel kranker, als die meisten.

Und diese Krankheit mußte mit allen Mitteln ausgemerzt werden. Doch welches seiner vielen Heilmittel sollte er bei dem Professor anwenden?

Plötzlich drehte ER sich um. Ihm war eine Idee gekommen. Er kehrte zum Haus des Professors zurück. Und diesen zweiten Besuch würde der Wissenschafter  nicht überleben.

 

 

2001 by Ingo Löchel

 

ZURÜCK