Liz

 

Rainer Innreiter

 

Die Verabredung. Er durfte sie auf keinen Fall verabsäumen! Als er auf seine chromblitzende Armbanduhr sah, stellte er fest, dass er noch reichlich Zeit hatte, denn das Rendezvous mit dem Mädchen war für 19 Uhr angesetzt. Zeit. Massig Zeit. Überhaupt hatte er viel Zeit in seinem zögernd begonnenen Leben. Starkey würde nicht vor 21 Uhr heimkommen. Er hatte also bis 21 Uhr Zeit ... Der gute alte Starkey. Zuletzt wollte er ihm noch Tipps geben, wie er das Dressing anzurichten hätte. Ihm! Lachhaft. Eigentlich war er, Nick, der bessere Koch von beiden, gewissermaßen der Bocuse des Hauses. Oh, Starkey war ein ungemein netter Kerl, aber in manchen Belangen - nun ja, schrullig. Vielleicht war das der Grund, weshalb es bei ihm mit den Mädchenbekanntschaften eher im düsteren lag. Nein, das zu vermuten war niederträchtig. Schuld an der Misere war Liz plötzliches Verschwinden. Liz, von Starkey geradezu vergöttert. Verschunden. Arme Liz. Nick hetzte zum Bus, stieg ein, bezahlte das Fahrgeld. Der Bus war fast leer. Rasch nahm Nick einen der schäbigen Plastiksitze in Beschlag. An der nächsten Station stieg unter anderem ein bildhübsches Mädchen hinzu. Sie setzte sich Nick schräg gegenüber. Ab und zu warf er ihr einen koscheren Blick zu, schämte sich dafür, bis er merkte, was seine Motivation hierfür war. Sie sah Liz schrecklich ähnlich. Lange blonde Haare, breites Becken, lange wohlgeformte Beine und Augen wie...ja was? Bergkristall. Sie schien ihm nicht abgeneigt, warum auch? Zwanzig Erdenjahre reiften wie köstlicher Wein in ihm heran, die Knospen der Jugend erblühten in seinem makellosen Gesicht. Er war erleichtert, als er aussteigen musste. Die Erinnerung schmerzte. Seine gute Laune verweigerte nunmehr trotzig die Gefolgschaft. Betrübliche Gedanken setzten sich in seinem Verstand fest. Liz würde immer in ihm sein, das war so sicher, wie das Amen am Gebetsschluss. Langsam schritt er die Treppen hoch. Wie üblich war der Aufzug außer Betrieb. Zwei Jahre wohnte er in diesem Haus, und in diesen zwei Jahren war der Aufzug schätzungsweise drei Monate in Betrieb gewesen. Oh, ihm war es einerlei, er war jung, und die 34 Stufen (er hatte sie penibel abgezählt) bereiteten ihm keinerlei Mühsal. Doch was war mit den älteren, gebrechlichen Mietern, die eine Wohnung im siebenten oder achten Stock bezogen? Oder die bedauernswerte Miss Sandra, deren Arme, auf Krücken gestützt, fünf Etagen zu bewältigen hatten? "Hi, Mister Lombard.", rief eine fröhliche, jungenhafte Stimme hinter ihm. Aus seinen Gedanken gerissen drehte er sich um. „Hallo, kleiner Freund. Auch mal wieder hier?“ Der Junge nickte ernst. "Sagen Sie, gilt das, was Sie mir versprochen haben, noch?" Nick musste kurz in seinem Gedächtnis- nachblättern. "Aber natürlich." Theatralisch winkelte er die rechte Hand nach oben. "Großes Ehrenwort. Ich mache ein Porträt von dir." "Super!“, rief der Junge begeistert aus, "Ich dachte schon, Sie hätten's vergessen." "Nein. Wie geht's deinen Schwestern?" „Sind so doof wie immer. Und wie geht's ihrem Freund?" "Hm. Gut. Denke ich jedenfalls." Der Junge verabschiedete sich unvermittelt, wie es Kindern eigen ist, und ließ den betrübten Nick ziemlich ratlos zurück. Musste er denn mit allem und jedem Mitleid haben? Nein, doch der Junge hatte einen schweren Stand: Eltern geschieden, seine Mutter kaum genug Geld für die Miete; für Essen, Kleidung, sonstiges, stand noch weniger Geld zur Verfügung. Trotzdem behielt Jack, der Junge, kindliche Fröhlichkeit in seinem kleinen Herzen. Bleib sauber, Jack, dachte Nick und öffnete die Tür.

 

Was für eine verrückte Welt, in die wir geworfen werden. Seufzend schloss er die zerkratzte Tür hinter sich zu. Eine knappe Stunde, das müsste genügen. Hastig räumte er das Esszimmer (eigentlich das Wohnzimmer) auf. Dutzende Leinwände, Bierflaschen und Bücher bildeten einen merkwürdigen Parcours, den es zu überschreiten galt. Anstatt die Sachen an ihren angestimmten Platz zu verfrachten, entschied er sich für die bequemere Lösung. Kurzerhand packte er den Krempel und deponierte ihn in der Abstellkammer. Morgen war noch lähmend Zeit, Ordnung zu schaffen. Aus der Kühltruhe (ein riesiges Monster, das eher einem gewaltigen, eisumrankten Schlund glich) entnahm er nach angestrengter Suche 2 dünne Schnitten Steakfleisch. Ja, dieses Fleisch war zart! Nur das beste für sie. Während das Fleisch vergnügt vor sich hinbruzzelte, stellte er einen Kandelaber mit drei Kerzen in die Mitte des Tisches. Romantisch. Starkey würde verlegen grinsen. Apropos: Er durfte nicht vergessen ihm mitzuteilen, dass das Fleisch fast alle war. In einem hinteren Winkel des Großhirns speicherte er diese Kurzeintragung unter der Rubrik Wichtig ab. Gut. Alles war organisiert; Tisch gedeckt, Essen bald fertig zubereitet, Wohnung halbwegs annehmbar. Fehlte nur noch die Attraktion dieses Abends. Jeden Augenblick könnte es an der Tür läuten. Herrgott, war das Fleisch zart! Am liebsten hätte er augenblicklich eines der handtellergroßen Stücke aus der Pfanne gefischt und verschlungen. Es war etwa zehn Minuten nach 19 Uhr. Sie wird nicht kommen, höhnte eine besonders gemeine Stimme in seinem Kopf. Doch, sie würde. Es sei denn, sie hätte einen Autounfall. Kommt gar nicht so selten vor, wie man meinen mochte. Ruhe bewahren, forderte er sich selbst auf. Sie wird kommen. Sie wird. Gähnend rückte der Minutenzeiger um einen winzigen Strich vor, während sein kleiner, feister Vetter nicht daran dachte, sich zu bewegen. Warum rief sie nicht wenigstens an und sagte ihm, dass sie sich verspätete? Wäre das zuviel verlangt? Nervös trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte. Lonely Boy , oder so ähnlich. Scheiße, versetzt. Das Tagesschicksal wandte sich offenbar gegen ihn ... halt, die Türglocke! Wahrscheinlich Starkey, der mal wieder den Schlüssel auf der Schreibtischablage vergessen hatte. Missmutig öffnete er die Tür. "Hast du“, begann er- und verstummte. Es war nicht Starkey, es war - sie. Wanda.

 

Und sie war ... war ... "Du siehst wunderschön aus." Mehr konnte er in jenem Augenblick erstarrter Stille nicht sagen. Atemberaubend wäre wohl angemessener gewesen, aber das klang vulgär und abgeschmackt. "Danke." Er bat sie rein, wies ihr den Weg und konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Ihr unglaublich blondes Haar fiel leicht über den Rücken. Ihr Rock gab allerlei Kostbarkeiten preis: Ein schier unendlich langes Paar Beine, in feine Netzstrümpfe gekleidet, wusste von Perfektion zu berichten. Ihr Becken, breit, wie es bei einer Frau sein sollte. Als sie sich setzte, er ihr Perrier kredenzte (sie trank grundsätzlich keinen Alkohol, sehr löblich) und das Essen auftrug, hatte er hinreichend Gelegenheit, ihre ausschweifende Schönheit genauer zu bewundern. Gott, waren ihre Augen blau! Und ihre Haut, so makellos, als wäre sie mit Schmirgelpapier bearbeitet worden. Er hasste sich für diese unseligen Metaphern selbst, doch dagegen kam er nicht an. Er musste Anhaltspunkte verschaffen, um sie erkunden zu können. Wohlige Schauer liefen über seinen Rücken. Konnte man es ihm verübeln? Sie war nicht einfach eine Frau, sie war ein Engel, eine Ahnung, in der man zu ertrinken drohte. Plötzlich bemerkte er, dass er sie anstarrte. Hatte sie es bemerkt? Überhastet wandte er sich dem Mahl zu. Nasse Hände umschlangen zärtlich das Besteck. Hätte sie es befohlen, ohne Umschweife wäre das scharfe Messer züngelnd über seine Halsschlagader gekrochen, eine Schlange des Verderbens. Ihr Mund nahm in freudiger Erwartung das Fleisch in sich auf. Die Lippen, wie mussten sie feucht und weich seine Haut ... "Schmeckt formidabel.", sagte sie und rüttelte ihn unversehens aus seiner Lethargie des Herzens. Peinlich berührt stellte er fest, dass er geistig seiner Zeit voraus war. Geduld. "Äh, ja?" Trottel", schimpfte die Stimme, die zuweilen stärker und mächtiger wurde. Bitte lass sie nicht überhand nehmen, flehte sein Verstand. "Freut mich, dass es dir schmeckt. Ich habe eine besonders zarte Schnitte gewählt." "Weißt du, so etwas habe ich noch nie gegessen Ich meine, etwas so köstlich zartes. Du bist ein hervorragender Koch, ehrlich." Ah, das tat gut. "Danke, aber für die Lebensmittel ist Starkey zuständig. Ich bereite sie zu, aber Starkey besorgt sie. Er hat eine Nase für diese Sachen." "Starkey..." Sie überlegte. "Ach so, das ist der Student, der die Wohnung mit dir teilt. " „Äh, ja, exakt“ Sehr gut, halt das Gespräch im Gange. Alles andere ergibt sich. Nicht locker lassen. "Du wirst ihn ja noch kennenlernen, denke ich." Clever, Alter! Faden aufnehmen und zu einem Netz verknüpfen. "Und was studiert er?" Sie setzte das Mahl fort. "Englische Literaturgeschichte. Er ist ungemein intelligent, wenn auch etwas schüchtern und, nun ja, exzentrisch" Vorsicht. "Aber du wirst ihn mögen, da bin ich sicher." "Exzentrisch ?", fragte sie nach. Er durfte sich nicht in eine Ecke drängen lassen. "Im positiven Sinne. Er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der aus Büchern, die er gelesen hat, rezitieren kann, ohne irgend eine Stelle bewusst auswendig gelernt zu haben." "Faszinierend." "Das kannst du laut sagen. Es ist unglaublich.“ He, beherrsche dich! Willst du sie mit ihm verkoppeln, oder wie? Sie beendeten das Essen. Der hypnotische Glanz der Kerzen verlangsamte seine Gedankengänge. Es ist das einzige Licht im Raume. Gebannt starrt Wanda in das gleißend stechende Licht. "Vielleicht bin ich verdreht, aber Kerzenlicht zieht mich in seinen Bann.", flüsterte sie und ein weiterer, wohliger Schauer breitet sich auf seinem Rücken aus. "Nun, deshalb ist es Brauch, in Kirchen Dutzende Kerzen zu entzünden. Sie verbreiten Ruhe, Entspannung, fast suggestive Erleichterung und schärfen die spirituelle-." Oh nein, lass den Quatsch! Warum fängst du nicht gleich ein Streitgespräch über Emanzipation mit ihr an? "Tatsächlich? So habe ich das noch nie betrachtet." Tja, sie ist wahrscheinlich eine doofe Nuss und ... Halt den Rand, Zyniker-Stimme. "Nun, das ist wohl eine Frage des Standpunktes, oder? Man kann solche Dinge von mehreren Seiten aus betrachten." "Wie wahr." Ihre Konzentration gilt den schimmernden Kerzen. " Entschuldige bitte einen Augenblick.", sagte er und lief in Starkeys Zimmer. Der Schlüssel, wo ... Direkt auf dem Schreibtisch, der mit Büchern und losen Blättern übersät war, lag der Wohnungsschlüsse1. Gut. Starkey müsste also anläuten. Was waren das eigentlich für Bücher? Verstohlen ergriff er einen der Wälzer "Lexikon der schwarzen Magie" stand in riesigen, kursiven Lettern auf dem Ledereinband geschrieben. Stand es so schlecht um Starkeys geistige Gesundheit? In dem Buch steckte ein Lesezeichen. Er schlug das Buch auf. Automatisch entblößte sich die gekennzeichnete Stelle. "Beschwörungsformeln" lautete die Überschrift. Scheinbar sinnentleerte Silben reihten sich absatzweise aneinander. Mehrere Zeilen waren mit rotem Signalstift unterstrichen.

Striara sigma conara ineja conaro sarrina dera lhana dhora stnara stnara / Zentralafrika / > Gott der Finsternis, erhöre diesen Geist; bringe, Gott der Finsternis, Gott der Finsternis < Wird der vollständige Name des Toten am Ende ernannt....

"Oh mein Gott.", murmelte Nick mit vor Schrecken geweiteten Augen. "Das kann doch nicht..." "Stimmt was nicht?" Keuchend fuhr er herum. Sein Herz raste wie von Sinnen. "Herrgott, hast du mich erschreckt!" "Verzeihung, ich wollte dich nur fragen, wo das Badezimmer ist." Verschämt legte er das Buch zur Seite. "Ich zeig´s dir.“ Tatsächlich zeigte er ihr das Badezimmer - und wenig später einiges mehr. Sie ließ es über sich ergehen. Der letzte Schritt konnte nicht vollzogen werden. Aus zweierlei Gründen: Erstens würde Starkey bald auftauchen, zweitens war da die Sache mit dem Buch. War Starkey auf dem Weg zur totalen Verblödung? Okay, er war nicht ganz astrein, zugegeben, aber schwarze Magie? Vermutlich alles nur wegen Liz. Liz. Herr im Himmel, hatte er sie geliebt! Armer Starkey, warum musste ihm das passieren? "Ist was nicht in Ordnung ?" "Was? Ach so, nein, alles in Ordnung." Er strich über ihr seidenes Haar und küsste ihre Stirn. In Ordnung. Gott, war sie schön. Und sie war sein Eigentlich noch nicht ganz, aber das konnte lediglich eine Frage der Zeit sein. "Dieses Ding da drüben." Sie wies mit dem Kopf in Richtung Kühltruhe. "So eine riesige Kühltruhe habe ich mein Lebtag nicht gesehen. Jedenfalls nicht in einer Wohnung." "Ist ein Erbstück von Starkeys Vater. Der war Metzger und als er starb ... nun ja, Starkey nahm das Ding." Paul, Starkeys Vater, wollte ein Rinderherz daraus entnehmen, als der- mächtige Oberteil wie ein Beil hinabraste. Sein Genick brach. Natürlich konnte das nicht einfach so geschehen, meinte die Polizei, jemand musste die Absicht gehegt haben. Winona, Starkeys Mutter, wurde unter dringendem Verdacht des Mordes festgenommen, wenig später jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt. Man konnte ihr nichts nachweisen. Außerdem behauptete sie gesehen zu haben, wie das verdammte Oberteil "wie von Geisterhand gelenkt", lachhaft! zuschlug. Von der Kühltruhe umgebracht. "Das ist ja furchtbar!" Schätzchen, wenn du wüsstest, dass dieses Gerät einen Menschen tötete ... "Ja, Starkey reinigte das Ding so gut es ging,“ Musstest du das sagen? "Er wollte sein Leben völlig neu gestalten und das Alte aus der Welt schaffen. Symbolisch. Du weißt schon, die Seele reinigen und so." Oh Mann, du redest Tacheles, merkst du das nicht? "Verstehe. Du kommst gut mit ihm zurecht, habe ich das Gefühl." Davon abgesehen, dass er völlig hinüber ist und ich gerade entdeckte, dass er schwarze Magie als Hauptfach belegt, ja. Oh, und abgesehen von ein paar Kleinigkeiten - wie diesem Monstrum von Kühltruhe. Aber abgesehen davon ist er der beste Freund, den man sich nur wünschen kann. "Wie-" Ein schriller Ton. Die elektrische Klingel unterbrach energisch. " Das muss er sein. Schade, ich hätte noch einiges mit dir zu, na ja, besprechen gehabt" Er grinste dümmlich; sie verstand. "Du kannst mich ja einmal besuchen." Er stand auf und ging zu der Tür, öffnete sie, empfing Starkey mit skeptischem Blick. "´tschuldige, habe den..." "Schlüssel vergessen.", setzte Nick fort und machte eine Kopfbewegung. Starkey stutzte, als er den Vorraum betrat. "Ah, kapiert, du hast eine Schlam..., äh Freundin mitgebracht.", flüsterte er und erntete ein kurzes, aber umso heftigeres Nicken. "Komm, ich stell sie dir vor" Im Wohnzimmer (Esszimmer) fläzte das wunderschöne Mädchen auf der Couch. "Wanda, das ist Starkey. Starkey, Wanda." "Erfreut', sagte Starkey, winkte mit der Hand und schritt zurück. "Gleichfalls." "Ist was, Starkey?", fragte Nick, der bemerkte, wie sein Freund bleich anlief. Bleich wie der sprichwörtliche Tod, um genau zu sein. "Ach, ich fühle mich nicht so besonders. Kann ich dich kurz in meinem Zimmer sprechen?" Ein wütender Blick dr-ohte Starkeys Netzhaut zu verbrennen. "Aber ja, natürlich.", zwang sich Nick zu gespielter Freundlichkeit. "Gehen wir“ Die Tür fiel ins Schloss. "Also? Nachdem du mir den Abend gründlich verdorben hast ... was gibt's noch?" Überraschung nahm auf Starkeys Gesicht dankbar Platz. "Was es gibt?", wiederholte er mit ungläubiger Stimme. Seine langen, dünnen Finger tippten an Nicks Brust. "Ich will dir sagen, was es gibt. Du hältst es nicht der Mühe wert, mir mitzuteilen, dass du ein Flittchen aufgegabelt hast und mitbringst. Und dann noch eines das so aussieht wie-„ Wütend quollen die Anschuldigungen aus seinem Mund. "Wie bitte? Sie ist kein Flittchen, wie du dich auszudrücken pflegst! Warum ist jede, die nicht so ist wie Liz ein..." Synopsen schalteten gemächlich, er verstand es endlich. Keuchend schlug er mit der Hand gegen die gerötete Stirn. "Oh mein Gott, Starkey, das tut mir leid! Es tut mir so leid." "Natürlich tut es dir leid!" "Nein, bitte, Starkey, glaube mir, das stand nicht in meiner Absicht! Oh Starkey, verzeih mir bitte.", Wild zuckten Starkeys Hände. "Es tut dir leid, es tut dir leid ... dir tut immer alles leid! Merkst du das nicht? Und trotzdem tust du mir so etwas an. Warum, Nick, warum ?" Er rang nach Worten. "Es ist keine Absicht, so glaube mir doch, bitte!" Das Buch fiel ihm spontan ein. Seltsam, weshalb jetzt? "Wenigstens bin ich nicht so kaputt, wie du es bist“, sagte Nick. Erstaunt sah Starkey hoch. "Wie meinst du das?" "Ich lese zumindest keine Bücher über schwarze Magie. " Starkey schluckte und stolperte rückwärts. "Du hast herumgeschnüffelt?" "Nein, es war Zufall, dass ich-" Verdammt, musste er ihm ständig ins offene Messer laufen? Wanda konnte er damit breitreden, aber nicht Starkey. "Halt die Klappe! Halt bloß die Fresse, ehe ich sie dir gründlich poliere!", wetterte Starkey, dünne Speichelfäden ronnen aus den Mundwinkeln. Er konnte nicht aufhören. Wütend nahm er das Buch über schwarze Magie, schlug die zuvor bereits gelesene Seite auf. "Kannst du mir sagen, was das soll?", fragte Nick, nicht unfreundlich. "Liz“, flüsterte Starkey. "Was soll der Quatsch?" "Liz. Liz. Oh Liz.", wisperte Starkey, ein Mantra der Liebe. Nick bemerkte es nicht. "Stnara sigma conara meja conaro samna cleta. Was soll der Scheiß? Striara sigma conara ineja conaro sarrina dera lhana dhora stnara stnara Was soll das? Bist du von allen guten Geistern verlassen?" "Oh Liz." "Ich rede mit dir!" , schrie Nick, außer sich, in gefährliche Rage verfallend. Er schleuderte das Buch in eine Ecke, wo es tot zu Boden glitt und auf dem glatten Linoleum Schatten warf. "Nick? He, Nick“

 

Unterdessen begann sich Wanda unwohl zu fühlen. Was war bloß los? Ein Streit unter Freunden? Seufzend erhob sie sich, strich den Rock glatt und wollte gerade gehen, als ein seltsames Geräusch ertönte. Es klang wie Poltern. Verwirrt sah sie sich um. Es war aus diesem Raum gekommen, das stand fest. Grazieelle Beine schritten vorsichtig durch das Zimmer. Wieder dieses unheimliche Geräusch. Blechern. Konnte es sein? Es hörte sich fast so an, als stieße etwas gegen die Kühltruhe, dieses weisse Monster ohne Zähne. Als das Geräusch ein drittes Mal erklang, schwankte die Kühltruhe ganz leicht. Wanda überlief ein Frösteln. Hatte sich eine Ratte in die Truhe verirrt und suchte nach einem Ausweg aus dem eisigen Gefängnis ? Unsinn, dann hätte es Nick bemerken müssen, spätestens, als er das Fleisch aus dem Gerät entnahm. Wanda kämpfte gegen einen starken Impuls zu flüchten an. Dennoch trugen ihre Beine sie zu dem Giganten eisiger Innereien. Es polterte erneut. Eindeutig - etwas schlug gegen die Wände. War das möglich? Sie sah sich um. Ihre rechte, Hand umschloss den gedrungenen Griff. Nein, warnte sie eine Stimme, hau ab! Doch wenn es eine Schwäche in ihrem perfekten Leben gab - ihre perfekte Familie, ihr perfekter Körper, ihr perfektes Studium - so war es der Todfeind der Diskretion: Neugierde. Sie musste einfach wissen, was hier vor sich ging. Ach, was sollte schon sein; dies hier war keine Folge der Twilight Zone. Entschlossen klappte sie den Deckel hoch. Sie vernahm eine Tür. Peinlich berührt fuhr sie herum, wollte schnell den Deckel schließen und sieh verabschieden von diesem- Etwas schlug hart auf den Boden auf. Verwundert ;sah sie, dass etwas rundes, in Kühlfolie gewickeltes zu ihren Beinen lag. Wie war das möglich? Hastig beugte sie sich hinunter und hob das runde Ding hoch, um es zurück in die Kühltruhe zu legen, ehe jemand Fragen stellte. Sie streckte die Hände aus, da begann die Folie unerklärlicherweise sich selbst zu entblättern. Mit riesigen Augen verfolgte Wanda das Unfassbare. Sie machte einen Schritt zurück. Knisternd entblößte die Folie ein rundes Stück Fleisch. War es Fleisch ? Derweil hatten Nick und Starkey das Zimmer- betreten. Sie blieben abrupt stehen. Keiner wagte es zu sprechen. Allmählich nahm das Ding Konturen an. Wanda schlug beide Hände gegen ihren Mund, der- außerstande gewesen wäre, auch ohne die fleischlichen Barrieren einen Laut von sich zu geben. Es wurde grausige Wirklichkeit, und plötzlich befand sie sich doch in einer Folge der Twilight Zone. "Mein Gott.", sagte Nick gedehnt und angewidert. Starkey näherte sich dem Ding – einem menschlichen Kopf. Es war ein menschlicher Kopf, vollständig erhalten, die Kehle durchtrennt, aber ansonsten passabel konserviert. Starkey griff danach, doch der Kopf rollte weg. Wäre es nicht so grausig gewesen, sie hätte zu lachen begonnen. Der Kopf flüchtete vor Starkeys bleichen Fingern. "Nein!", schrie er, "Verdammt, nein!" Einen kurzen Moment lang glaubte Wanda, sie könnte fliehen, vorbei an diesem verrückten Starkey, vorbei an Nick, der sie wenige Minuten zuvor zärtlich gestreichelt und geküsst hatte. Weg, schoss es ihr durchs den Kopf, weg hier! Ein kurzer Moment. Die Wahrheit sah völlig konträr zu diesem Wunsche aus. Wie angewurzelt musste sie das Ganze mitansehen. Ihre Beine zitterten, machten aber keinen Schritt. Ein leiser Laut ging von dem fliehenden Kopf aus. Es klang wie weinerliches Stöhnen. "Zarda!", rief Nick keuchend, "Zarda! Zarda!" Die Bewegungen des Kopfes wurden schwächer. Endlich bekam ihn Nick zu fassen. Er hielt ihn mit der rechten Hand auf Kinnhöhe. Der verrückteste Hamlet aller Zeiten, dachte Wanda und erwartete fast, er würde die berühmten neun Worte sprechen. Er tat es nicht. Das Gesicht war in stummem, ewigem Entsetzen gefroren. Was mochte geschehen sein, was war es, das so schrecklich, so unsäglich war? " Es war die Formel, Nick  die Beschwörungsformel." "Das kann doch nicht. . .", begann Nick" brachte den Satz aber nicht zu Ende, konnte nur ungläubig den Kopf schütteln. ''Was geht hier vor, verdammt noch mal? Nick, was zum-" Starkey atmete tief durch, dann warf er den eisigen, zu neuem Leben erwachten Schädel beiläufig in die geöffnete Kühltruhe. "Warum, Wanda, warum du?", flüsterte Nick, verzog die Augenbrauen zu einem fragenden Blick und schritt dumpf auf das Mädchen zu. „Hi-Hilfe, Nick.", wisperte Wanda, stotternd, wie ein in Nöte geratener Motor. Dieser jedoch konnte nicht eingreifen. Zu sehr war er mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Zu stark schienen die Füße mit. dem Boden verwachsen. Eine Einheit, und so musste es wohl sein. "Oh Wanda, du bist so wunderschön, wie Liz. Warum nur, Wanda?" Er streckte, den Arm aus, aber nicht um sie zu berühren, sondern um etwas vom Tisch zu nehmen. Sie starrte in seine Augen, konnte aber nichts finden, das ihr Hoffnung gab. "Nick- bitte.", wisperte sie mit weinerlicher Stimme. Starkeys Arm wich vom Tisch, auf dem die Kerzen fröhlich brannten, zurück. Er hatte eines der scharfen Steakmesser in der knochigen Hand. Selbst bei einer Frau sähen diese Finger sehr zierlich aus, dachte sie benommen. Und bei diesem Gedanken erlangte sie die Kontrolle über ihren Körper ziirück. Wie eine Feder schnellte sie adrenalingeputscht zur Seite, aber Starkey packte ihren Arm mit unglaublicher Kraft und Schnelligkeit und zerrte sie zurück. Sie kreischte auf, wissend, was kommen würde, kreischte und wand sich, schrie hell auf, versuchte, ihn zu beißen. Allein, sie hatte keine Chance ohne Nicks Hilfe. Brutal schmiss Starkey sie auf den Tisch. Ein Porzellanteller kippte zur Seite, zerbrach aber nicht. Ihr windender Oberkörper bedeckte den Tisch der Breite nach. Sie fühlte sich unsinnigerweise an einen der populären Ripper-Filme erinnert, in welchen der psychopathische Protagonist unliebsame Personen um ihr Leben brachte, indem er ihnen die Kehle auf ehrgebietende Weise durchschnitt. Dies war Wandas Rendezvous mit dem Tod. Gewiss, es war die kalte, unwiderstehliche Leidenschaft des Todes. Der erste Stich zwischen die Rippen stahl ihr den Atem, der zweite jegliche Hoffnung. Der dritte ließ sie nur noch um einen raschen Tod bitten. Dann verschwand die Erinnerung an diese grausame Welt. Immer und immer wieder stach er wie von Sinnen auf sie ein; Blut befleckte ihn, den Tisch, den Boden, ja, sogar die Tapete. Er musste es tun, es war ihr Aussehen, es war, dass sie den Kopf erblickt hatte. Kälte. Er musste sie ansehen. Keuchend vor Anstrengung und wahnsinniger Leidenschaft tat er es. Schlaff lag sie vor ihm. Sie war längst tot. Verwirrt blickte er zu Nick. Dieser konnte der Faszination des Bösen nicht abhold bleiben, ja, genoss perverserweise das Rauschen des Blutes. Und es bedeutete doch so viel für Starkey! Starkey. Alles nur für ihn.

 

Starkey wandte sich um, hielt das blutige Messer verkrampft in der Hand und setzte einen Schritt nach dem anderen. Er ging langsam auf Nick zu. "'Die Formel, Nick." Blut tropfte wie zäher Sirup zu Boden. Nicht schwerfällig, leicht und fröhlich, als wäre es ganz normal. "Nick, sie war so wunderschön, Nick." Nick begriff. Seine Arme hingen schlaff gen Boden. Keine Bewegung. Tränen sammelten sich in Starkeys hellen Augen. Seine Lippen bebten vor Einsamkeit und Trauer. "Oh Gott, Nick, es tut mir ja so leid." Langsam hob er das Messer. "Nick, es musste sein und jetzt-" Nick hatte vollstes Verständnis hierfür. Vorsichtig wand er ihm das blutgeschärfte Messer aus den zitternden Händen. Weinend sank Starkey auf die Knie und schlug die feuchten Hände vor das Gesicht. "Oh Nick, warum.", stieß seine tränenerstickte Stimme hervor, "Warum nur, Nick." "Steh auf.", befahl ihm dieser. Starkey sah hoch. Es war ihm ernst. Aus Starkeys Nase floss Schleim, während er sich mühsam erhob.

 

Zerstreut wischte er mit dem Ärmel darüber. „Starkey, das war nicht deine Schuld! Es war meine Schuld! " Dieser schniefte und betrachtete ihn durch einen glitzernden Schleier von Tränen. "Sie sah so aus, wie ... sie ... sie war wunderschön und sah so aus-„ Nick schluckte gerührt und nahm ihn in die Arme. Starkey widersetzte sich nicht, als er ihn ganz fest umschloss. "Ich weiß, Starkey, ich weiß. Sie sehen immer wie Liz aus, immer wie Liz. Oh, ich war so töricht, sie mitzunehmen!" "Und ich dachte-" "Ja", beruhigte ihn sein bester Freund, "Du dachtest es sei Liz, die zurückgekehrt war. Ich weiß. Nichts ist deine Schuld, gar nichts." Starkey ließ noch einige Minuten seinen Tränen freien Lauf, ehe er sich wieder unter Kontrolle hatte. Da löste er sich aus der warmherzigen Umklammerung. "Du bist der wunderbarste Freund, den man sich nur wünschen kann, Nick.", flüsterte er“. "Sie wird wiederkehren, Nick. Das verspreche ich dir, irgendwann wird es Liz sein. Du hast sie geliebt, deshalb ist es nur recht und billig, dass es dazu kommen wird." "Aber-" Er wandte sich von Nick ab, sah zu der blutüberströmten Leiche. "Du hast sie geliebt und ich tötete sie, und sie war doch gar nicht Liz." Nick klopfte ihm auf die Schulter, lächelte gütig. "Das macht nichts, Starkey. Ja, sie war wunderschön, aber sie bedeutete mir nichts, okay ?" Es kam von Herzen, stellte er fest. „Sie war eine dumme Nuss, okay?", wiederholte er. "Okay", sagte Starkey. "Wie? Ich habe nichts gehört.", sagte Nick grinsend. "Okay!", schrie Starkey, "Jawohl, Sir, danke, Sir!" Sie sahen einander an, dann brachen sie in lautes Lachen aus, bis auch Nick die Tränen in die Augen stiegen. "Und es macht dir wirklich nichts aus?", fragte Starkey nach. "Mir ist gerade was eingefallen - wir hatten sowieso kein Fleisch mehr. Ich meine, richtig gutes Fleisch.“, stieß Nick mit ernster Stimme hervor.

 

Es ist ein lauer Juniabend und Starkey sitzt an einem Tisch mit Nick und seiner neuen Flamme Jessica. Sie essen Schmorbraten. "Ich habe noch nie so gutes Fleisch zu essen bekommen, ehrlich!", sagt die wunderschöne Jessica, deren blondes Haar wallend ihren Rücken umspült. Bezaubernd schöne, blaue Augen mustern Nick. "Ich bin nur der Koch.", meinte dieser bescheiden, "Für die Beschaffung des Fleisches ist ein anderer zuständig." Starkey lächelt verschmitzt, etwas Röte bedeckte seinen ansonsten blassen Teint. "Liz zeigte mir, wie man wirklich gutes Fleisch auf den ersten Blick erkennt.", sagt er mit leiser, angenehmer Stimme. "Liz?", fragte Jessica stirnrunzelnd. "Ich hab's dir doch schon einmal erzählt.", versucht ihr Nick auf die Sprünge zu helfen, "Sie hat ihn verlassen." "Oh, das tut mir leid, Starkey! Ich wollte keine alte Wunde-" "Die alte Wunde ist längst verheilt, Jessica", sagt Starkey. Ein jungenhaftes, charmantes Lächeln macht sich auf seinen schmalen Lippen breit. Beileibe kein unverschämter Grinser, nein, ein ehrliches Lächeln. Und warum auch nicht ? Sie war nicht Liz. Kurz streifen seine Gedanken einen längst vergessen geglaubten Punkt. Der Tag, als Liz starb. Der Tag, als sie es probierten. Duane, ein Medizinstudent, hatte einmal beiläufig gesagt, eigentlich sei Menschenfleisch das einzig Wahre. Biologisch gesehen, natürlich. Fettarm, proteinreich. Der Tag, als sie- "Eines Tages wird sie zurückkommen, Starkey, richtig ?" Er lässt das Besteck sinken. "Richtig, Nick." "Ich würde es dir von ganzem Herzen wünschen.", sagt das wunderschöne Mädchen, das Starkey vom ersten Augenblick an gemocht hatte. Gewiss, er war extrem schüchtern, aber das ist nur allzu verständlich nach dem, was geschehen ist. Liz hatte ihn verlassen. "Oh. da bin ich sicher, eines Tages werde ich sie wiedersehen. Ich meine, wir, Nick, richtig? Schließlich sind wir doch Freunde richtig?" Dieser nickt bedächtig. Sie ist nicht Liz. sie ist wunderschön und sieht wie Liz aus, aber sie ist nicht Liz. Natürlich ist sie nicht Liz. Aber eines Tages würde sie wie Liz aussehen.

 

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