John Dee
Der mit den Engeln sprach
Wer in den üblichen Nachschlagewerken Informationen über John Dee sucht, der wird lediglich erfahren, dass dieser berühmte englische Gelehrte des 16. Jahrhunderts maßgebliche Beiträge zum mathematischen und astrologischen Wissen seiner Zeit geleistet hat. Weniger bekannt und verbreitet ist der Fakt, dass derselbe Mann auch fest daran glaubte, in die Geheimnisse der Engel eingeweiht zu sein, die Abläufe im Himmel zu kennen und zu wissen, welche Engel für die verschiedenen irdischen Bereiche zuständig sind.
Wer war dieser Mann, der so gegensätzliche
Interessen und Fähigkeiten in sich vereinte? War er der extrem
leichtgläubige, überaus eitle und höchst verblendete
Enthusiast, als den ihn die BIOGRAPHICA BRITTANICA beschreibt
oder ist er der weise Magier gewesen, auf dessen Henochischer
Magie einige Prinzipien des im 19. Jahrhundert von S. L.
MacGregor Mathers gegründeten Orden der Goldenen Dämmerung
basierten?
Ob er nun ein Weiser oder ein Dummkopf war
sicher ist, dass sich Dee zu seinen Lebzeiten mit Leib und
Seele der Wissenschaft widmete. Seine Bibliothek, die für
damalige Verhältnisse ungeheuer umfangreich war, hatte ihn die
seinerzeit unvorstellbar hohe Summe von über 3000 Pfund gekostet
und enthielt Werke zu jedem Wissensbereich, mit dem sich die
Gelehrten des 16. Jahrhunderts beschäftigten: Theologie,
Mathematik, Geographie, Navigation, Alchemie, Astrologie,
Astronomie und rituelle Magie.
John Dee wurde am 13. Juli 1527 in Mortlake
geboren damals eine hübsche Kleinstadt in Surrey, heute
ein Londoner Vorort.
Als Dee 15 Jahre alt war, begann er mit großem
Eifer das Studium am St. Johns College in Cambridge. John
war ein überaus eifriger Student. Aus seinen Aufzeichnungen geht
hervor, dass er sich in jenen Jahren seinen Tagesablauf streng
einteilte. Er schlief des Nachts nur 4 Stunden, gestattete sich
tagsüber nur 2 Stunden für Mahlzeiten sowie etwas anschließender
Ruhe und verbrachte die restlichen 18 Stunden mit Beten,
Studieren und Lernen. Vier Jahre vergingen auf diese Weise und
schließlich zahlte Dees Lerneifer sich aus. Im Jahre 1546 holte
ihn König Heinrich VIII. als Dozent an das gerade gegründete
Trinity College in Cambridge. Bereits nach kurzer Zeit begannen
Gerüchte darüber zu kursieren, dass Dee sich in Schwarzer Magie
versuchte etwas, das zu jener Zeit schnell ein verhängnisvolles
Schicksal heraufbeschwören konnte. 1548 verließ er das Trinity
College und begann an der Louvain Universität zu studieren. Dort
fand er so berühmte Studiengefährten wie Gemma Frisius und
Mercator.
Nach dem Ende seines Studiums begann Dee zu
reisen. Er lehrte an altehrwürdigen Universitäten, schloß
Freundschaften mit vielen Gelehrten, befasste sich mit der
okkulten Lehre des Abtes Trithemius und erstellte Horoskope für
viele große Männer und Frauen seiner Zeit.
Letzteres jedoch brachte ihn 1553, während
der Herrschaft von Maria der Katholischen, die das Volk wegen
ihrer äußersten Brutalität bei der Wiedereinführung des
Katholizismus Bloody Mary nannte, in große Gefahr.
Noch während Marias Regentschaft begann Dee
ein Horoskop für die älteste Tochter Heinrichs VIII. zu
erstellen, das er dann ihrer Halbschwester Elisabeth, der späteren
Königin von England, zuspielte.
Maria erfuhr durch Informanten von diesem
Vorgang. Sie ließ John Dee verhaften, einkerkern und sorgte dafür,
dass seine astrologischen Berechnungen über ihre mögliche
Lebensdauer als Hochverrat ausgelegt wurde. Gleichzeitig wurde
ihm unterstellt, dass er die Königin mit Hilfe der Schwarzen
Magie ermorden wollte. Er wurde zwar von dieser Anklage
freigesprochen, aber unter dem Verdacht der Ketzerei wenig später
erneut verhaftet. Erst 1555 kam er endgültig frei.
Als Maria 1558 starb, bestieg Elisabeth I.
den englischen Thron. Sie machte Dee zu ihrem persönlichen
Sterndeuter und ließ jedes Ereignis zunächst genau von ihm auf
den astrologisch günstigsten Zeitpunkt hin überprüfen. So
berechnete er zum Beispiel den günstigsten Tag für ihre Krönung
und war stets beratend an ihrer Seite, wenn Elisabeth argwöhnte,
dass ihr jemand mittels Hexerei schaden wollte. Als Gegenleistung
erwies Elisabeth ihm einige sehr bedeutende Gefälligkeiten. So
machte sie ihn beispielsweise zum Ratgeber für alle
geografischen Entdeckungsreisen, die unter ihrer Herrschaft
unternommen wurden, darunter auch für die Reise des Francis
Drake.
Außerdem gewährte Elisabeth ihm Schutz
gegen alle Angriffe auf seine Studien und übersandte dem durch
seine fortwährenden Bücherkäufe stets unter Geldmangel
leidenden Dee wiederholt kleinere Geldgeschenke.
Dennoch verlief sein Leben nicht sehr glücklich,
denn der Ruf, ...ein Gefährte der Höllenhunde und ein
Beschwörer von üblen und heimtückischen Geistern... zu
sein, den er sich bereits während seiner Zeit auf dem Trinity
College erworben hatte und durch Marias Anklagen noch vertieft
worden war, machte ihm das Leben nicht einfacher. Wahrscheinlich
hätte sich das Misstrauen seiner Kritiker noch verstärkt, hätten
sie Kenntnis von den Experimenten gehabt, die er in den Jahren
bis 1581 während seiner Zeit als Rektor von Long Leadenham in
Lincolnshire durchführte.
Im Oktober 1581 dann versuchte er, zunächst
jedoch erfolglos, zum ersten Mal Kontakt mit Engeln aufzunehmen.
Als er sich mit dem Medium Barnabas Saul
zusammentat, der behauptete, in seiner magischen Kristallkugel
Engel und andere Geistwesen sehen zu können, hatte Dee zum
ersten Mal Erfolg. Am 22. Dezember 1581 soll es dann tatsächlich
zum Kontakt mit dem Engel Anael gekommen sein.
Kurze Zeit danach trat ein gewisser Edward
Kelley, alias Talbot, in sein Leben. Kelley war ein seltsamer
junger Mann mit zweifelhaftem Ruf, der ein Ohr am Pranger von
Lancaster verloren hatte und nun versuchte, diese Verstümmelung
unter einer schwarzen Kappe zu verbergen. Das dadurch bedingte
geheimnisvolle Aussehen sorgte zusammen mit den dunklen Gerüchten
über Kelley, die diesem die Kenntnis der rituellen Magie, der
Alchemie und sogar der Nekromantie nachsagten, dafür, dass Dee
sein anfängliches Misstrauen gegen Kelley überwand. Ein
wichtiger Faktor dabei mag das unvermittelte Erscheinen des
Erzengels Uriel gewesen sein, der Dee verriet, wie man einen mächtigen
Talisman herstellen könne. Von diesem Zeitpunkt an war Dee von
Kelleys Zauberkräften überzeugt.
Die beiden arbeiteten in den folgenden
sieben Jahren eng zusammen und hielten Hunderte von Séancen ab
die erste im englischen Mortlake, die letzte in Krakau in
Polen, wohin Dee dem polnischen Prinzen Lasky gefolgt war.
Zwischen diesen beiden Zeitpunkten wanderten die Männer und ihre
Familien kreuz und quer durch Europa, immer dem Geheiß eines
Engels folgend.
Einige der Aufzeichnungen Dees aus jener
Zeit haben sich bis heute erhalten. Darunter befindet sich eine
Korrespondenz aus dem Jahre 1583 zwischen Dee und dem Engel
Uriel, in der jener die Bedrohung Englands durch die spanische
Armada und die Enthauptung Maria Stuarts im Jahre 1587
vorhersagte. Dass ein politisch interessierter Mensch jener Zeit,
wie das Medium Kelley einer war, durchaus auch allein
anhand sorgfältiger Beobachtung der politischen Lage Englands
solche Vorhersagen treffen konnte, übersah Dee bewußt. Für ihn
waren die weitaus weniger konkreten Voraussagen der angerufenen
Engel viel wichtiger, in denen hauptsächlich obskure
mathematische, magische und zunehmend linguistische Lehren
vermittelt wurden. So wurden Dee durch Automatisches Schreiben
lange Traktate diktiert, in denen die Grundregeln der
henochischen Sprache, der Sprache des Garten Eden, festgehalten
waren.
Die henochische Sprache mutet auf den ersten
Blick wie purer Unsinn an, denn es wurden scheinbar willkürlich
Silben aneinandergereiht. Später befasste sich ein
Wissenschaftler namens Laycock mit dieser geheimnisvollen Sprache
und stellte nach eingehenden Untersuchungen in seinem Werk Complete
Enochain Dictionary fest, dass sie in Struktur und Grammatik
bemerkenswerte Ähnlichkeiten zum Englischen aufwies.
Während die henochische Sprache Einzug in
die Riten des angewandten Okkultismus hielt, fuhren Dee und
Kelley damit fort, Séancen abzuhalten. Ihre letzte fand am 17.
April 1587 statt. Darin befahl der Engel Madimi den
beiden Männern, von nun an alles zu teilen und gemeinsam zu
genießen auch ihre Gattinnen. Dee war zutiefst von diesem
Gedanken abgestoßen und fügte sich schließlich nur widerwillig
und nach weiteren himmlischen Ermahnungen. Die
Vierer-Harmonie hielt jedoch nicht lange. Es kam zu heftigen
Auseinandersetzungen, die schließlich zur endgültigen Trennung
von Dee und Kelley führten. Im November 1588 kehrte Dee auf
Einladung der Königin nach England zurück, doch von den ihm
versprochenen Stellungen und Apanagen sah er fast nichts. Dee
konnte nur leben, weil einige Freunde ihm immer wieder mit Geld
aushalfen.
Sein ehemaliger Mitarbeiter Kelley starb
1595 unter ungeklärten Umständen. John Dee selbst starb im
Dezember 1608 in bitterster Armut in seinem Geburtsort Mortlake,
doch bis zu seinem Ende führte er seine magischen Studien fort.
Zusammengestellt von Katrin Glase am 18.4.2001