Frank Black
Chapter VI
Preacherman
Ich
ging in langen- Schritten die Straßen hinunter. Ich musste mir
ernsthaft Gedanken machen, wo bald ich etwas Weihwasser
auftreiben konnte. Noch waren die Schmerzen in meiner Brust zu
verkraften, obwohl ich ein stetiges Ansteigen des Pegels verspürte.
Ich wusste nicht, wie lange ich noch herumlaufen könnte, oder ob
ich einfach an irgendeiner Ecke zusammenbrechen würde.
Sterben
konnte ich ja scheinbar nicht so einfach, aber zumindest würde
ich für meine Gegner eine leichte Beute werden. Allerdings
wurden die Schmerzen nun doch stärker und auch meine Kräfte
begannen zusammen mit den Flüssigkeiten, die ständig aus meiner
Wunde im Brustkorb sickerten, meinen Körper zu verlassen.
Ich
dachte an die lange vergangene Zeit meines eigenen
Religionsunterrichtes in meiner Kindheit zurück. Weihwasser würde
ich nur in einer Kirche bekommen. In einer katholischen Kirche,
genauer gesagt. Also lenkte ich meine Schritte in die Altstadt.
Ich kannte mich dort unten zwar nicht sonderlich aus, aber mir
schien dort eine Kirche eher zu finden zu sein, als in den
Kneipen- und Vergnügungsvierteln der City.
Nach
einiger Zeit des Herumwanderns in dunklen Nebenstraßen und
Gassen erreichte ich endlich den alten Marktplatz. Hier war in frühen
Zeiten der Ursprung unserer Stadt gewesen. Mittelalterliche
Fachwerkhäuser mit verwinkelten und verbauten Giebeln zeugten
von langer und wechselhafter Geschichte. Ich blieb im Schatten am
Rande des Platzes stehen und verschaffte mir einen kurzen Überblick.
Zu so später oder früher Stunde schien niemand mehr unterwegs
zu sein. Die Stadt lag mir schwarz und tot zu Füßen.
Ich
wusste aber, dass längst nicht die ganze Stadt schlief. Die
Wesen der Nacht gingen ihren dunklen Geschäften nach, und seit
einigen Stunden gingen mich einige dieser Geschäfte etwas an.
Auf
der gegenüberliegenden Seite des großen Platzes ragte düster
und gewaltig die Alte Kathedrale in den schwarzen Himmel. Diese
war landesweit bekannt und täglich viel besucht wegen ihrer
ausgefallenen und einzigartigen Bauweise. Allerdings legten die
Schatten der Nacht ihr eigenes Zerrbild über das berühmte
Gotteshaus. Zahllose Türme und Erker, scheinbar wahllos
angeordnet, aber in der Gesamtheit ein gigantisches erdrückendes
Musterwerk bildend, zeugten von der Genialität oder dem Wahnsinn
des frühen Architekten. Wasserspeier und steinerne Gargoylen
lugten aus den Winkeln des Bauwerk und schienen den nächtlichen
Besucher mit ihren leeren Augenhöhlen in Acht und Bann zu legen.
Fast war es, als würden ihre widerwärtigen Grimassen meinen
Schritten durch die Nacht folgen.
Ich
umrundete den großen Markt im Schatten der alten Gebäude und
hatte nach einiger Zeit den Vorplatz der Alten Kathedrale
erreicht. Ich stand vor der Eingangstür und mir schien, als
beugten sich die beiden mächtigen Haupttürme aus den schwarzen
Wolken herab, um den ungebetenen Eindringling zu gottloser Stunde
in die Nacht zurückzujagen.
Ich
schüttelte den Kopf, um meine düsteren Gedanken zu verscheuchen.
Dann
trat ich die letzten Schritte an die monumentale Eingangstür der
Kathedrale heran. Der Türklopfer hatte die Form eines
Widderkopfes, dessen Nasenring das schwere Schlagwerk bildete.
Aus Bronze oder Messing geformt, wirkte mir der Ring fast zu
schwer, um ihn heben zu können. Wie alles an diesem monstösen
Bauwerk war auch der Türklopfer nicht der Größe der Wesen des
Tages angepasst.
Mühevoll
hob ich den Klopfer an und natürlich glitt mir der Ring aus den
Fingern und fiel zurück. Ich erwartete einen hallenden
Donnerschlag der den ganzen Marktplatz wecken würde, aber als
der Ring aufprallte, gab es nur einen dumpfen erstickten Schlag.
Ich
erstarrte in der Erwartung folgender Dinge.
Knarrend
öffnete sich nach einigen Minuten des stillen Wartens in diesem
riesigen geschnitzten Portal eine kleine, nicht einmal mannshohe
Pforte. Heraus schob sich ein kahler Schädel, der sich langsam
in alle Richtungen wandte und dessen tiefer, hohläugiger Blick
schließlich an mir hängenblieb.
Und?
Das
hässliche Angesicht verzog sich zu einer Grimasse, die nur ein
Grinsen darstellen konnte.
Ich
brauche Hilfe, antwortete ich, ich hatte einen
Unfall und brauche kirchlichen Beistand, sozusagen.
Ich
überwand meine voreingenommene Abscheu vor dem Aussehen des
Geistlichen und versuchte möglichst hilfsbedürftig und
bemitleidenswert auszusehen, was mir in meinem Zustand doch recht
leicht fiel.
Sein
Blick glitt abschätzend an mir hinab und wieder herauf.
Die
Grimasse kniff ihre Augen zusammen und sagte: Dich scheint
es ja ziemlich übel erwischt zu haben, dann komm doch lieber
erst mal rein! Ich will sehn, was ich für dich tun kann.
Allerdings...
Abschätzend
taxierte er mich ein weiteres mal. Kannst du überhaupt
eine Kirche betreten, wenn nicht, dann will ich nichts mit dir
und deinesgleichen zu tun haben. Aber, versuch dein Glück!
Er
zog sich zurück und öffnete die kleine Pforte.
Nachdenklich
folgte ich ihm. Er hatte schließlich recht, konnte eine
Nachtgestalt überhaupt eine Kirche betreten, oder würde mich
das Feuer des heiligen Kreuzes augenblicklich zu Asche verbrennen.
Allerdings hatte ich nicht viel zu verlieren, vertraute auf meine
Besonderheit und betrat die Kathedrale.
Ich
folgte dem Priester langsam und gebeugt durch den kleinen Vorraum.
Die Macht des Gebäudes schien mir die letzten Reste meiner Kraft
aus den Gliedern zu saugen. Der Priester vor mir öffnete mit
einem Schwung die breite Doppeltür und der Glanz tausender
Kerzen strahlte mir ins Gesicht. Gequält schrie ich auf und sank
niedergeschlagen von dem Übermaß an Energie zu Boden. Dann fiel
mein Blick auf die elende, gepeinigte, ans Kreuz genagelte
Gestalt am entgegengesetzen Ende des Kirchenschiffes. Wie eine
Trophäe über einem Opferaltar aufgestellt, starrte mich das
Wesen mit seinem unendlich traurigen und hilfesuchenden Blick an.
Dabei war ich derjenige, der hier Hilfe suchte. Wie sollte mir
solch ein Wesen, dass kaum in einer besseren Lage als ich
steckte, seine Hilfe angedeihen lassen.
Der
Priester stand derweil etwas abseits, hatte seine Hände in die
Ärmel seiner weiten Soutane geschoben und harrte der Dinge, die
weiterhin geschehen würden. Sein hohläugiger Blick aus seinem
schädelartigen Gesicht ruhte interessiert und abwartend auf mir.
Ich
wand mich unter der Macht des dornengekrönten Gekreuzigten auf
dem Kirchenboden und spürte, wie die letzten Kräfte aus allen
Wunden meines Körpers gezogen wurden. Mich überkam eine tiefe
Ruhe und Lethargie, mein Geist entwand sich den Fesseln des
fleischlichen Gefängnisses und schwebte jubelnd und frei ins
Kirchenschiff hinauf. Ein gleißendes Licht streckte lockend
seine Strahlen nach mir aus, mich zu umfangen und in ewiger
Seligkeit zu begrüßen. Jauchzend strömte ich dem Leuchten
entgegen, bereit zur Aufnahme in das Paradies.
HALT,
eine donnernde Stimme riss mich zurück.
Der
Priester saß über meinem Körper gebeugt und flößte mir aus
einer kleinen Flasche eine Flüssigkeit ein. Plötzlich verspürte
ich ein Zerren an meinem Geist. Ich wurde mit Kraft in meinen Körper
zurückgezogen. Ich wehrte mich, wollte in das lockende Licht,
wollte die Verheißung kosten.
Komm
zurück, das ist eine Falle, ich weiß wer du bist, ich habe auf
dich gewartet. Der Priester sprach jetzt leise. Komm
zurück, ich kann dir helfen.
Das
Ziehen wurde zu stark für meinen Geist und ich glitt zurück in
die beschädigte Hülle meines Leibes. Sofort sprangen mich die
Schmerzen an wie tollwütige Bullterrier, um mich zu zerfleischen.
Ich
schrie auf, verschluckte mich an meinem Blut und Erbrochenen und
wand mich am Boden wie ein erstickender Fisch.
Beruhige
dich, und trinke das hier, der Priester redete beruhigend
auf mich ein und versuchte dabei, mir sein kleines Fläschchen an
die Lippen zu bringen. Mit einer gewaltigen Willensanstrengung
unterdrückte ich die Zuckungen und nahm einen Schluck. Sofort
beruhigte ich mich und der größte Schmerz ebbte ab. Ich
richtete mich vorsichtig auf und orientierte mich wieder. Noch
immer war die unheimliche Präsenz des Gekreuzigten zu spüren,
allerdings hatte sie keine Macht mehr über mich. Ich nahm dem
Priester die kleine Flasche aus der Hand, trank einen weiteren
Schluck und goss mir den Rest über den Oberkörper. Meine Wunden
schlossen sich und meinen Körper durchzog eine Gefühl von Wärme
und Lebendigkeit. Ich erhob mich auf meine noch etwas wackeligen
Beine und machte Anstalten, die Kathedrale zu verlassen.
Geh
nicht, der Priester packte mich an meiner Schulter und
versuchte mich aufzuhalten, du hast allein keine Chance. Du
weißt ja überhaupt nicht, mit welch einer Macht du es zu tun
hast. Lass mich dir helfen! Ich warte schon sehr lange auf so
einen wie dich, um die dunklen Mächte bekämpfen zu können.
Allein bin ich zu schwach. Bleib hier und lass uns reden.
Ich
habe keine Zeit für Reden, ich muss Mariana finden. Du hättest
mich sterben lassen sollen, ich habe das Licht gesehen und den
Frieden. Also lass mich in Ruhe, wie soll mir ein Priester schon
helfen können. Ich muss meinen Weg selbst gehen.
Das
war eine Falle, antwortete dieser, deinesgleichen
kann das Licht gar nicht erreichen, du wärst in alle Ewigkeit um
das Leuchten gekreist und hättest niemals einen Weg hinein
gefunden. Aber gut, nimm aber wenigstens noch diese kleine
Flasche Weihwasser mit dir und wenn du jemals Hilfe brauchst dann
komm hierher. ich kann dir bestimmt helfen, meine Familie hat
eine lange Erfahrung mit den Gestalten der Nacht.
Ich
schritt langsam zur Tür und versuchte das kleine Fläschchen in
die Innentasche meiner ziemlich ramponierten Jacke zu stecken,
fand aber keine ganze Tasche mehr. Also behielt ich sie in meiner
Hand und drehte sie hin und her. Die Nacht war nur noch kurz und
ich musste mich schleunigst auf die Suche nach einer Unterkunft
machen, in der ich den Tag verbringen konnte. In meine eigene
Wohnung zu gehen, wagte ich nicht, zu groß war die Angst, am
Tage, wenn ich wehrlos war, getötet zu werden.
Als
ich die Tür erreichte fiel mir noch etwas ein. Ohne mich
umzudrehen fragte ich: Vielen Dank, Priester, darf ich
fragen, wer mir die kümmerlichen Reste meines falschen Lebens
bewahrt hat?
Ich
konnte das Grinsen des Priester förmlich auf meinem Rücken spüren.
Falls du jemals wieder hierher kommst, frag nach Pater
Armand, Armand van Helsing.
Ich
wirbelte herum. Die Flasche fiel aus meiner Hand und
zersplitterte auf dem steinernen Fussboden.
Das
Gesicht des Priesters war ein einziges verzerrtes, breites
Grinsen.
Du
hast richtig gehört, mein Name ist van Helsing.