Frank Black

 

 

Chapter V

 

Holy Water

 

 

Wir traten aus der Kneipe in die kühle Nachtluft. Der Mond schien hell und klar am wolkenlosen Himmel. Die drei Kerle folgten uns mit ihren Schrotflinten im Anschlag auf dem Fuße. Mariana stand neben mir und sah mich traurig und bedauernd an. Sie setzte zum Sprechen an, doch ein heftiger Stoß mit dem Lauf einer Flinte bereitete ihren Bemühungen ein schnelles Ende.

 

"Haltet die Klappen und kommt mit," sagte der Anführer der Männer, "ihr könntet euch eine Menge Unannehmlichkeiten ersparen. Wie ihr vielleicht bemerkt habt, kann ich Störer nicht ausstehen. Also los, und Schnauze."

 

In Ermangelung besserer Alternativen folgte ich den Anweisungen. Währenddessen schossen mir verschiedene Überlegungen durch das Hirn.

Wer waren diese Kerle überhaupt, und hatte mich Mariana in eine Falle gelockt? Und wenn ja, warum überhaupt, die Angelegenheit hätte sie viel einfacher lösen können. Gelegenheiten dazu waren genug vorhanden gewesen.

Die Verhältnisse wurden immer undurchsichtiger, wer stand auf welcher Seite, und wer waren überhaupt die Seiten, und wo stand ich in diesem tödlichen Spiel.

 

Aber zuallererst musste ich mal meine eigene Haut hier herausbringen.

 

Ich sah mich vorsichtig um. Zwei Schritt vor mir blieb der Anführer dieser Bande stehen und drehte sich um. Er sah uns amüsiert an, die Schrotflinte locker in der Armbeuge abgelegt. Langsam drehte ich meinen Kopf nach links und rechts. Die anderen beiden Kerle standen halb hinter uns und hielten ihre Waffen längst nicht so lässig wie ihr Boss.

 

Er grinste  mich an: "Wer wird denn hier auf dumme Ideen kommen? Ohne Kopf kannst du nicht weit rennen, das kannst du mir glauben. Also halt dich zurück, und tu genau was ich dir sage. Meine Existenz ist mir lieber als irgendwelche Anweisungen vom Meister, klar."

 

"Was will denn eigentlich euer berühmter Meister von mir?" fragte ich den Boss, hauptsächlich um ihn in ein Gespräch zu verwickeln und abzulenken.

 

"Komm einfach mit, dann wird er es dir schon selbst erklären."

 

"Aha, ihr wisst es nicht. Euer Meister vertraut euch also nicht, ist ja interessant. Was denkt ihr denn, was er von mir wollen könnte? Wisst ihr überhaupt, was ich bin?"

Ich versucht die Kerle zu verunsichern oder zu provozieren, ohne mir allerdings einen richtigen Plan zurechtgelegt zu haben.

 

Der Anführer sah seine beiden Kollegen an. Diese zuckten nur mit den Schultern. Der Meister wird schon wissen, was er will, schienen ihre Mienen auszudrücken.

 

"Kann es sein, dass sich euer Meister vor mir fürchtet?"

 

Die beiden Gorillas grinsten sich verstohlen an, während ihr Boss die Stirn runzelte und den Blick senkte.

Ich nutzte meine kleine Chance. Mit einem schnellen Schritt und einem heftigen Kick unter das Kinn warf ich den Anführer erst mal um und stürzte mich nach links auf den einen Kerl.

 

"Lauf, Mariana! Verschwinde!" schrie ich ihr im Fallen zu.

 

Sie erwache aus einer Art Starre, sah sich kurz um und begann die Straße hinunterzusprinten. Während des Rennens breitete sie ihre Arme aus, sprang in die Luft und war mit zwei, drei Flügelschlägen in der Dunkelheit verschwunden. Ich schaute ihr verdutzt hinterher.

 

Diesen Moment nutzten meine Gegner natürlich aus.

"Hol dir die Schlampe!" sagte der Boss.

Der andere der beiden Kerle ließ seine Knarre unter dem Mantel verschwinden, und lief mit schnellen Schritten die Straße hinunter. Nach wenigen Sekunden wurde auch er von der Nacht verschluckt.

 

Währenddessen konnte ich in dem Handgemenge seinem Kollegen von mir stoßen und mich hochrappeln. Ich bedauerte, dass ich meinen Rucksack in der Bar unter unserem Tisch stehengelassen hatte, denn jetzt hätte etwas Werkzeug gebrauchen können.

Der Boss war inzwischen auch schon wieder auf den Beinen und stand mir gezückter Schrotflinte vor uns.

 

"Dafür wirst du bluten! Du kommst mir nicht so einfach davon!" brüllte er und schwenkte den Lauf der Waffe zu mir.

Ohne Rücksicht auf seinen Kumpan drückte er die Waffe ab und lud mit eine schnellen Armbewegung nach. Die Masse der Geschosse traf mich in die Brust und warf mich und den anderen Mann um.

Es fühlte sich an, als schlüge mir jemand mit einer Keule gegen die Brust. Ich hörte das Geräusch brechender Rippen in meinem Brustkorb. Dann flog ich einige Meter nach hinten und schlug hart mit dem Hinterkopf auf die Straße. Ich krallte meine Finger vor Schmerzen auf den Asphalt. Pfeifend strömte mein Atem zwischen den Rippen hindurch, und meine Kehle füllte sich langsam mit meinem Blut. Ich bäumte mich auf, in dem schrecklichen Verlangen, Sauerstoff in meine zerfetzten verblutenden Lungen zu pumpen. Mein Körper schrie nach Luft und zuckend warf ich mich hin und her. In diesem Moment traf mich ein zweiter Schuss kurz oberhalb meines rechten Knies und schleuderte mich halb herum.

 

In meinem Blickfeld tauchte der andere Kerl auf. Dieser wand sich schreiend auf dem Boden und seine Haut und sein Fleisch lösten sich in großen Fetzen vom Körper. Zischend und Blasen werfend trennten sich Muskeln und Sehnen von den Knochen. Langsam löst sich der Körper auf und die Bewegungen wurden in dem Maße schwächer in dem sich die Muskeln zersetzten.

Die Geschosse mussten mit einem Gift präpariert worden sein, nur so konnte ich mir die schreckliche Wirkung erklären.

 

Der Boss betrachtete interessiert den Zerfall seines Kompanions. Dann schaute er zu mir herunter. Stirnrunzelnd lud er seine Waffe ein weiteres Mal nach und legte auf mich an.

 

Bevor er auch nur daran denken konnte abzudrücken, schoss mir eine fürchterliche, schreckliche erregende Wut durch den Körper. Brüllend sprang ich auf, ohne mich um die schneidenden Schmerzen in meinem rechten Bein zu kümmern. Mit den Schreien verließen Wolken von Blut und Lungenpartikeln meine geschundene Kehle. Der Bemantelte sprang erschrocken einen Schritt zurück und geriet ins Stolpern.

Mit schnellen Schritten schritt ich auf ihn zu und griff nach dem Lauf der Schrotflinte um sie dem Kerl zu entreißen. Ich merkte kaum, dass mir ein weiterer Treffer meine Schulter zerfetzte und Teile meiner Jacke und meines Muskelgewebes mit sich zog.

Mit einer schnellen Bewegung packte ich mit der anderen Hand die Waffe und riss sie ihm ruckartig aus den Händen. Mit einem angstverzerrten Gesicht stolperte er rückwärts vor mir her und machte mit seinen Händen abwehrende Bewegungen.

 

"Was will der Meister von mir?", die Worte stießen keuchend aus meiner Kehle hervor. Die von Angst fast zerfressene Gestalt streckte die Arme aus und winselte um Gnade.

 

"Bitte, lass mich laufen, ich werde niemandem erzählen, was du bist."

 

"Und was bin ich denn", fragte ich den Mann herausfordernd, "Und wo ist dein verdammter Meister, ich glaube, ich habe ein paar Worte mit dem Gesellen zu wechseln."

 

"Das kann ich dir nicht sagen," antwortete der Kerl und zog die Arme an seinen Körper. Mit einer verstohlenen Handbewegung griff er flink in seine Manteltasche. In der erhobenen rechten Hand hielt er plötzlich eine kristallklare Phiole, die er mit einem Daumenschnippen entkorkte und mir den Inhalt entgegenschleuderte.

 

Ohne dass ich ausweichen konnte, spritzte mir die kalte Flüssigkeit ins Gesicht und über meinen Oberkörper. Ein schreckliches Brennen schoss über meine Haut und durch die Flüssigkeit in meinen Augen konnte ich nichts mehr erkennen. Wahllos entlud ich die Schrotflinte mehrmals in die Richtung, in der ich den Mann immer noch vermutete. Ein grausiges Wimmern und Heulen überzeugte mich von einem Treffer.

 

Unterdessen ließen die Schmerzen in meine Augen und in meiner Brust langsam nach. Ich wischte mir mit einem Ärmel über das Gesicht. Mit meinem zurückkehrenden Sehvermögen konnte ich erkennen, wie sich ein tiefer Schnitt an meinem Unterarm langsam schloss, nachdem er in Berührung mit der geheimnisvollen Flüssigkeit gekommen war, die mein Gesicht benetzte. Auch begannen die gräßlichen Schmerzen am ganzen Körper zu verebben und mein Atem ging etwas ruhiger.

 

Schnell sprang ich zu der schrecklich zugerichteten Gestalt, stieß ihm die Waffe in die Seite und schrie meine Frage heraus.

"Was ist das für ein Zeug, war das für mich gedacht? Sprich endlich, du Schwein, sonst blas ich dir den Schädel weg!"

 

Noch beim Sprechen wurde mir die Sinnlosigkeit meiner Drohung bewusst, denn der Mann lag sowieso im sicheren Sterben.

Er wälzte sich mühevoll auf den Rücken und öffnete die nachtschwarzen Augen in seinem zerstörten Gesicht. Seine Lippen bewegten sich, als wollten sie mir noch einige letzte Worte zuflüstern

Ich kniete mich neben ihn und beugte meinen Kopf zu seinem Mund hinunter, um vielleicht noch eine letzte Antwort mitzunehmen.

 

".. das Weihwasser, warum wirkt es nicht,... warum..."

 

Ich beugte mich näher, um besser zu verstehen.

 

Die dunklen Augen sahen mich plötzlich an, der Mund verzog sich zu einem letzten teuflischen Grinsen und ein heißer Schmerz fuhr in meine Brust.

Ich sprang brüllend auf und leerte das Magazin der Waffe auf die am Boden liegende Gestalt  Der Körper wurde unter der Wucht der Geschosse förmlich zerrissen und die Wirkung des Weihwassers, wie ich nun wusste, tat ihr übriges, um die Reste sicher aufzulösen.

 

Ich ließ die Schrotflinte fallen und sah an mir herunter. Dicht unter meinem Brustbein ragte das Ende einen Hartholzpfahles aus meinem Oberkörper. Ich schien riesiges Glück gehabt zu haben, dass der Pflock mein Herz nicht erreicht hatte, sonst wäre es wohl aus mit mir gewesen. Ob ich auch sowas überleben würde, wollte ich ganz sicher nicht durch Selbstversuche herausfinden.

Vorsichtig griff ich das Ende des Holzes und zog erst vorsichtig zur Probe und dann riss ich den Pfahl mit einem Ruck heraus.

An der rauhen Oberfläche blieben einige Fleischfetzen hängen, trotzdem hielt sich der Schmerz in erstaunlich erträglichen Grenzen. Das schien alles noch zur ungewöhnlichen Wirkung des Weihwassers auf mich zu gehören. Allerdings machte die schreckliche tiefe Wunde in meiner Brust keine Anstalten zu verheilen, wie der Rest meines geschundenen Körpers.

Ich würde mir mehr Weihwasser auftreiben müssen.

 

Ich warf einen letzten Blick auf die zerfließenden Überreste des Anführers und wollt mich eben umdrehen als mir ein kurzes Funkeln an den Resten der Halswirbel ins Auge fiel. Ich kniete mich nochmals neben die Gestalt, diesmal etwas vorsichtiger, obwohl eigentlich fast keine festen Bestandteile mehr übrig waren. Langsam griff ich mit zwei Fingern in den rosarote schaumige Paste und förderte ein schmales silbernes Kettchen zutage. Ein kurzer Ruck riss es aus der weich gewordenen Wirbelsäule heraus und ich hielt es mir vor mein Gesicht.

 

Ein silberner Ring, darin ein golden schimmerndes schmales Kreuz, welches im Zentrum einen blutroten Stein gefasst trug. Dieses Symbol begegnete mir nun schon zum zweiten Mal in dieser Nacht.

 

Nachdenklich ließ ich dir Kette vor meinen Augen hin und her baumeln. Ein weiteres Rätsel, dessen Lösung vor mir lag. Die Ereignisse dieser Nacht schienen bereits Jahre zu dauern. Die letzten Stunden waren intensiver und ereignisreicher als mein gesamtes bisheriges Leben verlaufen.

Wie würde mein Leben weitergehen? Eine lange Suche lag vor mir, zu der ich keine Alternative hatte.

Mit einer kanppen Bewegung schleuderte ich die Halskette in meinen Handteller und ließ sie in einer der wenigen intakten Taschen meiner Jacke verschwinden.

 

Da ich mich einigermaßen bei Kräften fühlte, kehrte ich noch einmal an die Bar zurück, um meinen Rucksack zu holen. Eigentlich wollte ich mir ja noch einen Drink genehmigen, aber ich fürchtete, der Whiskey würde mir durch die Rippen fließen.

 

Mit meinem Werkzeug auf der Schulter machte ich mich auf die Suche nach Weihwasser, Mariana und dem Meister und vor allem nach meinem Leben.

 

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