Frank Black
Chapter IV
Transmutation
Wir
rannten zusammen durch mehrere Seitenstraßen und um einige
Ecken, bis wir uns einigermaßen sicher waren, dass wir nicht
verfolgt wurden. Keuchend blieben wir in einer Durchfahrt an die
Wand gelehnt stehen und versuchten zu Atem zu kommen. Zumindest
keuchte ich und versuchte zu Atem zu kommen. Sie schien nicht
sonderlich angestrengt zu sein und spähte gerade um die Ecke
nach eventuellen Verfolgern.
"Du
hast mir einiges zu erklären", sagte ich, nachdem sich das
Brennen in meiner Lunge langsam zu legen begann. "Du bist
mir verdammt noch mal einige Antworten schuldig."
"Lass
uns dort drüben in die Bar gehen, hier auf der Straße sind wir
nicht sicher."
Sie
griff meinen Ellenbogen und zog mich aus der Durchfahrt über die
Straße zu einer kleinen verkommenen Bar. Mit einem Fußtritt
stieß sie die Pendeltür auf und zerrte mich in die
dahinterliegende Dämmerung. Wir bahnten uns unseren Weg durch
eng stehende Tischchen und am Tresen vorbei zu einer unbesetzten
Eckbank und setzten uns in den Schatten eines großen falschen
Gummibaumes.
Ich
sah mich unauffällig in der Kneipe um. Mürrische Gestalten in
ungepflegten Klamotten hingen herum. Mit ihnen an den Tischen saßen
ein paar grell und auffällig geschminkte und gekleidete Mädchen.
Sicherlich Nutten. Im Hintergrund dudelte leise ein Radio, zu
leise, um überhaupt die Musik zu erkennen. Gespräche fanden
kaum statt. Die Leute saßen teilnahmslos an den Tischen herum,
nippten an ihren Drinks und wechselten selten mal ein paar Worte.
Das einzige Geräusch war das beständige Plätschern an der
Theke, wo die Barkeeperin Gläser spülte. Dieses Plätschern
endete abrupt, sie trocknete ihre Hände ab, warf das Wischtuch
auf den Tresen und trat an unseren Tisch. Wortlos wartete sie auf
eine Bestellung.
"Eine
Bloody Mary und einen Scotch", sagte das Mädchen und
grinste mich an.
Die
Kellnerin verschwand und kehrte kurz darauf mit unseren Drinks
zurück. Wiederum wortlos stellte sie die Gläser vor uns ab und
verzog sich hinter die Theke, wo sie das Gläserspülen
fortsetzte.
"Die
Leute hier sind nicht besonders gesprächig, oder ist das hier
das Vereinslokal des Taubstummenclubs", fragte ich mein
Gegenüber.
Sie
schüttelte den Kopf, "Die Leute hier wollen einfach nur
ihre Ruhe haben. Wenn sie quatschen wollten, würden sie woanders
hingehen."
"Und
du meinst, dass ist der richtige Platz um mir ein paar Antworten
zu geben. Woher weiß ich überhaupt, ob ich dir trauen kann,
immerhin bist du ja schuld an dieser ganzen Situation."
"Du
musst mir einfach glauben, das alles ist ein schrecklicher
Irrtum, ich habe nicht gewusst, wer du wirklich bist. Aber der
Meister muss es gewusst haben. Es war eine Falle für uns beide.
Wir beide sind gefährlich für ihn. Er wollte scheinbar mich
oder dich loswerden. Beinahe hätte es ja auch geklappt. Er hat
mich geschickt, damit ich dich zu ihm zu bringe, ohne mir zu erklären,
warum. Jetzt wird mir auch der Grund klar. Du bist niemals tot
gewesen, wie wir anderen. Du bist bei lebendiger Seele zu dem
geworden, der du jetzt bist. Dadurch bist du etwas ganz
Besonderes, deshalb auch dein schrecklicher Zustand nach dem
ersten Mal. Du wusstest wohl nicht, dass das erste Blut für uns
eine ganz besondere Erfahrung und auch etwas Gefährliches ist?"
"Nun
mal der Reihe nach, immer langsam, ich verstehe jetzt nicht mehr
halb so viel, wie ich noch vor zwei Stunden dachte. Erst mal, wie
heißt du überhaupt? Ich will nicht immer "du da" oder
"Mädchen" zu dir sagen. Oder habt ihr keine Namen
mehr?"
"Doch,
doch, ich heiße Mariana. Und du? Hast du auch einen Namen, du
finsterer Jäger der Nacht?" Sie lächelte mir spöttisch über
den Rand ihres Glases hinweg zu.
"Nenn
mich einfach Frank."
Ich
stürzte meinen Scotch in einem Zug hinunter, bestellte mit einer
Handbewegung bei der Kellnerin zwei neue Drinks für uns. Dann
verschränkte ich die Arme, stütze die Ellenbogen auf den Tisch
und beugte mich zu ihr hinüber.
"Jetzt
ist es Zeit, dass du mir endlich ein paar anständige Erklärungen
ablieferst, meine liebe Mariana. Und nicht mehr soviel wirres
Geschwafel wie vorhin. Ich hätte gern ein paar klare Aussagen."
"Na
gut, was willst du wissen? Schieß los!"
"Also,
was bin ich, was bist du, wer ist der komische Meister und warum
will er dich und mich?"
Sie
nippte an ihrem Drink, leckte sich die Lippen, senkte ihren Blick
und begann;
"Erst
mal zu mir, ich bin schon einige Jahre älter, als du vielleicht
annimmst. Ich bin auf eine ähnliche Weise wie du zu der
geworden, die ich jetzt bin. Ein paar Typen habe mich und meine
Freundin angequatscht und uns dann mit auf eine private Rock´n
Roll-Party genommen. Unsere Eltern haben von der Musik damals gar
nichts gehalten, aber solche privaten Wohnzimmerfeten waren
ziemlich der Reißer. Damals haben wir noch richtig Rock´n Roll
gehört. Chuck Berry und Elvis und nicht so ein Geballer wie
heutzutage auf den Parties.
Jedenfalls
später am Abend fielen diese Kerle über uns her, rissen uns die
Blusen herunter und warfen uns zu Boden oder auf die Couch. Erst
dachte ich, die Irren wollten uns vergewaltigen, aber plötzlich
spritzte das Blut durch das Zimmer.
Meine
Freundin lag mit zerfetzter Kehle auf dem Sofa und zappelte. Ihre
Versuche zu schreien wurden durch ihr eigenes Blut erstickt. Der
eine Kerl kniete über ihr und hielt sie mühelos fest. Dann
begann er das heraussprudelnde Blut in tiefen Zügen zu trinken.
Zwei von ihnen hielten mich währenddessen fest und sahen zu.
Nach ein paar Schluck hatte der erste genug, stand blutbesudelt
auf und machte eine leichte Verbeugung und eine Armbewegung wie
ein Kellner, der ein Buffet eröffnet. Der Nächste beugte sich
grinsend über sie und begann zu schlürfen.
Ich
war bis jetzt wie gelähmt gewesen. Mit einem Ruck erwachte ich
aus meiner Trance, riss mich los und rannte zur Haustür. Keiner
der Kerle machte Anstalten, mir nachzulaufen. Ich riss die Haustür
auf und lief den drei Männern genau in die Arme, die eben das
Haus betreten wollten. Sie packten mich und zerrten mich zurück
ins Haus.
Ich
erwachte sechs oder sieben Tage später in einem Kühlfach des
Leichenschauhauses. Irgendwie konnte ich entkommen, irrte ein
paar Tage orientierungs- und erinnerungslos durch die Stadt und
wurde dann von unserem Meister aufgelesen."
"Und
weil dir das solchen Spaß gemacht hat, machst du das jetzt mit
Leuten wie mir."
Ich
kippte den Rest meines Whiskeys hinunter und die Kellnerin
brachte ohne Bestellung ein weiteres Glas.
"Das
erklärt nun, wer du bist? Die ganze Geschichte kommt mir
allerdings ziemlich bekannt vor. Wie du sicher noch weißt, habe
ich etwas ganz ähnliches schon selbst erlebt, also brauchst du
nicht etwa auf mein Mitleid hoffen."
"Dein
Mitleid brauche ich nicht," entgegnete sie barsch, "ich
komme ganz gut ohne zurecht."
Ruhiger
fuhr sie fort: "Ich wollte dir nur den Unterschied zwischen
dir und mir klarmachen. Dass du etwa Besonderes bist. Es passiert
ganz selten, dass jemand lebendig transmutiert. Dieser ist dann
ein Mischwesen aus zwei Rassen, mit ganz besonderen Fähigkeiten.
Allerdings musst du noch viel darüber lernen. So einfach ist das
alles nicht."
Ich
setzte zu einer weiteren Frage an, da wurde mit einem Krachen die
Tür aufgestoßen und drei breitschultrige große Männer in
schwarzen Ledermänteln traten in die Bar.
"Polizei",
brüllte einer grinsend, "Alle sitzen bleiben, keine
ruckartigen Bewegungen, Hände auf den Tisch!"
Langsam
schritten die Männer zwischen den Tischen hindurch und blickten
den Sitzenden prüfend in die Gesichter.
Ich
wurde langsam unruhig und sah Mariana fragend an. Unmerklich schüttelte
sie den Kopf und drückte beruhigend meine Hand.
Zwei
Tische vor uns sprang plötzlich einer der Gäste auf. In seiner
Hand hielt er einen kleinen silbernen Colt und versuchte in
Richtung des vordersten Mannes abzudrücken. Noch bevor er den
Arm weit genug herumgeschwenkt hatte, zog dieser mit einer
unglaublich schnellen fließenden Bewegung eine kurze
Schrotflinte unter dem Mantel hervor und schoss dem Mann aus nächster
Nähe ins Gesicht. Blut und Knochensplitter flogen in einer Wolke
hinter dem Mann davon, während diesem der Colt aus der Hand fiel
und der Körper zitternd zusammenbrach.
"Ich
hatte gesagt: Keine ruckartigen Bewegungen. Damit ihr merkt, dass
ich es ernst meine, werde ich euch noch etwas zeigen."
Mit
diesen Worten schwenkte er die Schrotflinte mit einer Hand herum,
drückte die Mündung einer jungen Frau mit weit aufgerissenen
Augen auf die Stirn und drückte ab. Ihr halber Kopf verschwand
in einer roten Wolke, und ihr Körper sackte auf dem Stuhl
zusammen.
"Alles
klar jetzt?" fragte der Mann mit trockener Stimme, "ich
wiederhole mich ungern."
Mit
diesen Worten trat er an unseren Tisch.
"Schön,
Mariana, dass du uns den Kerl so gut präsentieren kannst."
Er grinste mich zynisch an.
"Der
Meister wird zufrieden sein, mit deiner guten Arbeit."
Zu
mir gewandt sagte er: "Trau niemals einer Frau, früher oder
später wird sie dich immer hintergehen. So, und jetzt ist genug
gelabert, aufstehen und mitkommen!"