Frank Black
Chapter I
"Whiskey in
the jar"
Ich
saß schon seit einiger Zeit auf meinem Stammplatz in Pedros Bar.
Vor mir das gewohnte Glas Scotch, kalt, aber ohne Eis. Wie immer
eben. Mein Platz ist die dunkle Nische gegenüber dem Tresen, vom
Eingang kaum zu sehen und auch sonst schlecht zu überschauen.
Ich will meine Ruhe, wenn ich dort sitze und ins Glas blicke.
Meist recht lange und tief. Das Letzte, was ich mir an solchen
Abenden wünsche, sind Kneipengespräche über schlechte Politik,
die schlimme Wirtschaftslage oder das beschissene Wetter. Das
wird nur noch übertroffen von betrunkenen ausländischen
Touristen, die mir zu später Stunde dann Fotos von ihrer häßlichen
Alten und den drei mißratenen Gören aufdrängen wollen.
Ich
gehe jeden Abend zu Pedro. Kurz nach Sonnenuntergang verlasse ich
meine Wohnung und laufe die drei Straßenzüge hinunter. Ich gehe
stets erst nach Sonnenuntergang. Durch den kleinen Zwischenfall,
wie ich es jetzt immer nenne, kann ich mich tagsüber nicht mehr
draußen sehen lassen. Und ich trinke eine Menge Whiskey, um den
nagenden Hunger zu betäuben. Und um die Erinnerung zu töten.
*
Schuld
waren die drei Schnecken, die uns eines Abends ansprachen, als
ich mit meinen Kumpels in einem Straßencafé abhing. Ob wir drei
nicht Lust auf eine coole Party hätten, sie hätten keine
Begleitung und so weiter. Hätte uns schon komisch vorkommen müssen,
passiert schließlich nur im Fernsehen, aber was willst du
machen, wenn dir das Hirn plötzlich in die Hose rutscht. Schließlich
sahen die Drei ziemlich scharf aus. Also gingen wir mit. Der
Schuppen, in den sie uns führten, war in einer ziemlich
heruntergekommenen Gegend, durch drei Hinterhöfe und dann in
einem Keller. Die Türsteher, zwei bleiche, schmale, aber
nichtsdestotrotz finster und grimmig blickende Kerle musterten
uns mißtrauisch. Aber sie schienen die Mädchen zu kennen, also
ließen sie uns ohne Probleme rein. Nach einem kurzen Weg eine
Treppe hinunter und durch einen Korridor kamen wir an eine stabil
aussehende Metalltür. Eines der Girls klopfte heftig an und die
Tür wurde von innen entriegelt und aufgestoßen.
Wir
betraten die Hölle. Brüllender Industrialsound ließ meine
Magenwände erzittern und meine Gedärme auf und ab springen.
Stroboskobgewitter erhellten die Szenerie nur mangelhaft. Ich sah
tanzende Gestalten zucken wie in einem alten Stummfilm. Die Größe
und Art des Raumes war bei diesem Licht nicht zu überschauen. Es
mußte eine passable Anzahl Gäste in dem Raum oder Saal sein,
denn ich sah in den zuckenden Lichtreflexen immer nur eine
tanzende Masse. Meine beiden Kumpels hatten sich bereits mit je
einem von den Mädchen auf die Tanzfläche oder sonstwohin
verzogen. Die Dritte stand noch neben mir und sah mich abschätzend
an. Ich versuchte, ihr durch den Lärm die Frage zu übermitteln,
ob wir was trinken wollten. Sie lächelte und schüttelte den
Kopf. Ihre Lippen näherten sich meinem Ohr und sie flüsterte:
"Komm erst mal tanzen, nachher gibt es für alle was zu
trinken." Erstaunlicherweise konnte ich sie gut verstehen.
Also nickte ich mit dem Kopf und wir drängelten uns zur Tanzfläche
durch. Dort war etwas mehr Platz als ich erwartet hatte. Sie
begann sofort zu tanzen und ich versuchte ebenfalls das Beste was
ich zu solcher Musik aufbieten konnte. Einer meiner Kumpel stieß
mich an und ich sah, wie sein grinsender Mund die Worte "Geile
Party" formte. Dann verschwand er wieder in der wogenden
Masse.
Der
Rhythmus wurde langsamer und ging in eine Ballade über. Das Mädchen
schlang mir ihre Arme um den Hals und fing an, sich zur Musik in
den Hüften zu wiegen. Ich legte meine Hände um ihre schmale
Taille und langsam kamen wir uns näher. Schließlich legte sie
den Kopf an meine Schulter. Ich sah, dass die tanzenden Pärchen
um uns herum mit ähnlichen Dingen beschäftigt waren.
Plötzlich
spürte ich einen kurzen Stich am Hals und dann ein Ziehen und
Saugen. Bloß kein Knutschfleck, dachte ich jetzt, sowas kann ich
morgen im Büro überhaupt nicht gebrauchen. Sanft versuchte ich
sie wegzuschieben, doch sie klammerte sich an mich. Ich wurde
ungehalten, verstärkte meine Bemühungen. Ihre Umarmung wurde stärker.
Meine Geduld war jetzt am Ende. Mit einem kräftigen Ruck löste
ich ihre Arme von meinem Hals und stieß sie einen Schritt weg.
Sie blickte mit wutverzerrtem Gesicht zu mir. Ihr Kinn und Hals
waren von Blut überströmt, meinem Blut. Ich sah mich
erschrocken um. Einer meiner Freunde hing schlaff in den Armen
einer Blondine. Ich erwachte aus der kurzen Erstarrung, stieß
das sich nähernde Mädchen mit roher Gewalt zurück und wandte
mich zur Tür. Die meisten Pärchen waren in ihren Umarmungen
versunken, jeder auf seine Weise, und so kam ich unbehelligt zur
Tür. Der Türsteher war verschwunden und so begann ich die
Verriegelungen zu lösen. Ein gellender Schrei ertönte und
mehrere der Gestalten sahen mich mit ihren blutverschmierten
Gesichtern an. Ich konnte endlich die Tür öffnen, schlüpfte
hindurch und rannte mit aller Kraft die Treppe hinauf und durch
den Korridor. Ehe mich die Wachposten am Eingang bemerkten, stieß
ich sie beiseite und hastete durch die Hinterhöfe und Gassen.
Ich weiß nicht einmal, ob sie mich wirklich verfolgten, aber in
Panik rannte ich durch die Nacht. erst am frühen Morgen wurde
ich ruhiger und machte mich auf den Weg zu meiner Wohnung.
Dann
begann ich nach und nach die Wirkungen dieser Nacht zu spüren.
Erst harmlos und lästig, später immer schlimmer. Ich vertrug
kein Sonnenlicht mehr. Anfangs schmerzten nur die Augen und ich
konnte mich eine Zeitlang mit einer dunklen Sonnenbrille
behelfen, aber dann kamen die abscheulichen Sonnenbrände hinzu.
Schließlich verließ ich meine Wohnung nur noch an trüben
Tagen, aber bald war auch das nicht mehr möglich. Meine Arbeit
hatte ich längst verloren.
Zuletzt
kam dieser gräßliche, drängende, fordernde, schneidende Hunger.
Zu
dieser Zeit begann ich, jeden Abend zu Pedro zu gehen und mich
mit Unmengen Whiskey volllaufen zu lassen. Damit konnte ich den
Hunger niederhalten. Und ich schmiedete immer neue, blutige
Rachepläne, für meine beiden Freunde und mein zerstörtes Leben.
Ich wurde ein häufiger Gast in der Nachtbibliothek, wo ich
versuchte etwas Wissen über das Wesen jener Gestalten zu sammeln.
Die Mitarbeiter sahen es zwar gar nicht gern, dass ich regelmäßig
eine Flasche beim Lesen leerte, aber sie ließen mich wenigstens
unbehelligt. Die Literatur über die Wesen ist spärlich und
beschränkt sich hauptsächlich auf irgendwelche Kindermärchen
und Lagerfeuergeschichten. Aber aus ein, zwei uralten Folianten
konnte ich doch einige Hinweise über sie entnehmen, die ich für
richtig hielt. Besonders über das Töten dieser Wesen. Ich trage
seit dieser Zeit immer einen Rucksack mit dem wichtigsten
Werkzeug mit mir herum.
*
"Ist
der Platz dort noch frei?"
Langsam
blickte ich von meinem Glas auf und sah ihr ins Gesicht.
Ich
erkannte sie sofort wieder.
Ich
nickte und wies auf den Platz mir gegenüber.
"Was
trinken? fragte ich sie. Sie schien mich nicht wiederzuerkennen.
Ich hatte in irgendeiner alten Schwarte gelesen, dass bei den
jungen von ihnen das Gedächtnis nicht sonderlich ausgeprägt sei.
Das käme erst mit dem Alter und dem Blut.
Auf
Ihre Zustimmung winkte ich Pedro zu mir, bestellte einen weiteren
Scotch für mich: "... und einen Bloody Mary für die Lady."
Pedro
nickte und schlenderte zurück zur Bar.
Das Mädchen
sah mich irritiert an und ich dachte schon, ich wäre zu weit
gegangen. Aber Pedro brachte die Getränke und wir begannen
belanglos miteinander zu plaudern. Endlich sprach sie die Frage
aus, auf die ich schon mit wachsender Ungeduld gewartet hatte.
"Hast
du nicht Lust auf eine coole Party?"
Und
ob ich Lust hatte. Ich antwortete: "Warum nicht, lass uns
gehen."
Sie
stand auf. Ich stürzte meinen Rest Scotch hinunter und griff
unter den Tisch nach meinem Rucksack. Der Inhalt klapperte leise,
als ich ihn hervorzog. Sie sah mich komisch an, sagte aber nichts
dazu, als ich ihn mir über eine Schulter warf.
"Gehen
wir, ich bin ganz heiß auf die Party!"