Frank Black

 

 

Chapter IX

 

Into the Night

 

Vor Entsetzen erstarrt, blickte ich van Helsing in die tiefliegenden Augen. Wirre Gedanken schossen durch mein Hirn. Sollte ich wirklich Mariana opfern müssen, um wieder ein Mensch zu werden. War ich dann noch menschlich, wenn ich wissentlich eine Existenz gegen mein Leben eintauschte. Auch Mariana wollte leben, wenn sie überhaupt noch am Leben war.

Dieser Gedanke ließ mich aus meinen düsteren Überlegungen aufschrecken. Ich richtete mich auf dem klapprigen Stuhl gerade auf.

 

„Ich habe meine Entscheidung getroffen,“ sagte ich zu van Helsing, “ich werde als erstes nach Mariana suchen. Alles weitere muss warten und wird sich später finden.“

 

„Klare Worte, Frank,“ antwortete der Priester, “aber hast du schon eine Vorstellung, wo deine Suche beginnen soll. Genauso gut kannst du die oft genannte Nadel in diesem vielzitierten Strohhaufen suchen. Mariana ist doch diese bestimmte Person, von der dein Schicksal so sehr bestimmt wurde, liege ich da richtig? Eigentlich solltest du diese Frau doch hassen, sie hat dein Leben ruiniert.“

 

„Wahrscheinlich müsste ich das, aber sie hat auch mein Leben gerettet, und sich dadurch selbst in große Gefahr gebracht. Ich weiß, dass sie immer noch in großer Gefahr schwebt. Ich habe von ihr geträumt, und durch mich ist sie in diesem Traum einen entsetzlichen Tod gestorben. Ich muss sie rechtzeitig finden.“

 

„Nun gut, mein Freund, ich schätze, du bist einfach verliebt. Da kann man nichts machen. Aber du solltest rechtzeitig deine rosa Brille absetzen, und der Realität in die blutunterlaufenen Augen blicken, sonst können deine Schwierigkeiten noch viel größer werden. Diese Frau wird dir noch zum Verhängnis werden, dass prophezeie ich dir, und ich hoffe wirklich, ich irre mich.“

 

„Sicher, sicher, du abergläubischer alter Pfaffe. Statt mich mit finsteren Verkündungen zu erschrecken, kannst du mir mal besser ein paar Tipps aus deinem alten Schriftenkeller hervorkramen. Ich möchte nicht mit offenen Augen in die Höhle des Löwen schreiten, ohne zu wissen, was mich darin erwartet.“

 

„Ein Löwe, was sonst.“ sagte van Helsing lakonisch zu mir, zog sich einen Stuhl zurecht, nahm ein Glas, entkorkte eine Flasche und setzte sich. Dann sah er mich auffordernd an. „Aber setz dich ruhig wieder, es wird ein paar Minuten länger dauern. Und nimm dir ein Glas!“

 

Ich wehrte ab, „Mach es diesmal bitte kurz, ich will nicht wieder eine ganze Nacht verquatschen. Dazu habe ich zu wenig Zeit. Sag mir erst mal, wie ich noch etwas Weihwasser bekommen kann, und dann sehen wir weiter.“

 

„Also gut, dazu musst du in das andere Ende der Altstadt gehen, dort gibt es die kleine Sankt-Vincent-Kapelle in der Reuel-Str. Dort klopfst du an und sagst Pater Price, dass du von mir kommst. Dann wird er dich hineinlassen. Und hüte dich auf dem Weg dorthin, du kannst ganz leicht in Schwierigkeiten geraten, denn der Meister weiß jetzt, mit wem er es zu tun hat. Noch einmal wirst du nicht so leicht davonkommen. Denn was der Meister weiß, wissen auch alle Untertanen und umgekehrt. Die Vampire in der Stadt sind seine Augen und Ohren. Also wird dich niemand mehr mit Weihwasser überschütten.“

 

Ich nickte nachdenklich. Ich würde mich allein und ohne wirksame Waffen durch die Nacht zu der kleinen Kapelle durchschlagen müssen. Mein Rucksack mit dem kleinen Waffenarsenal schien mir keine große Hilfe zu sein. Ich zog ihn unter der klapprigen Bank hervor, kramte die Klinge heraus und hielt sie van Helsing hin.

„Was hältst du davon, kann man damit was anfangen?“

 

Er kam neugierig näher um die Waffe zu begutachten. „Eine gute Klinge..“ Er griff danach und berührte die Schneide. Mit einem wütenden Aufschrei fuhr er zurück und rieb seine rechte Hand unter der Soutane. „Verdammt, Silber, ich hätte daran denken sollen,“ knurrte er, „jedenfalls eine gute Klinge, lass sie weihen und du hast einen Trumpf in deiner Hand, der schwer zu schlagen ist. Wo hast du die eigentlich her, so etwas kriegt man nicht beim Andenkenhändler an der Ecke.“

 

Ich steckte die Klinge zurück in den Rucksack, ließ aber der Griff etwas herausstehen, um schnell zugreifen zu können.

„Soweit ich mich erinnern kann, hatte mein Vater diese Waffe schon seit ewigen Zeiten über dem Kamin hängen. Er war lange Handelsvertreter in Osteuropa und hat eine Menge Krempel mitgebracht, hauptsächlich aus Ungarn und Rumänien. Nach seinem Verschwinden habe ich sie mir als Erinnerung mitgenommen. Und dann erschien sie mir auf einmal nützlich.“

 

„Scheint wirklich so,“ grüblerisch zog van Helsing sein Gesicht in Falten, „wir werden darüber noch zu reden haben, es ist möglich, dass dich die Vergangenheit deines Vaters einzuholen beginnt. Hier, zieh diese Jacke an und mach dich auf den Weg. Die ist noch aus meiner Jugend und hat mir schon gute Dienste geleistet.“

 

Während er sprach, war van Helsing hinüber zum alten Kleiderschrank gegangen und hatte eine verstaubte Jacke aus dem alten Schrank geholt. Er klopfte flüchtig den Staub herunter und reichte sie mir. Ich nahm die alte Lederjacke aus seiner Hand und hätte sie vor Überraschung beinahe fallenlassen. Die Jacke war unglaublich steif und schwer, fast wie eine Rüstung.

Dann streckte ich van Helsing meine Hand zum Abschied hin. Er schüttelte bedauernd den Kopf und zeigte mir entschuldigend seine rechte Handfläche, die mit eitrigen Brandblasen überzogen war.

 

„Mach es gut, Frank“ ,sagte er, „und frage ja niemanden nach dem Weg zu der Kapelle. Denk dran, jeder in der Nacht ist dein Feind. Ich hoffe, ich sehe dich bald wieder. Viel Glück. Ach hier, steck die Flasche ein, du wirst sie sicher brauchen können.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand in den Schatten des Altars.

 

Der Priester barg düstere Geheimnisse in sich. Die Gelegenheit würde kommen, diesen auf den Grund zu gehen. Vorerst hatte ich allerdings anderes zu tun.

Nachdenklich zog ich meine zerfetzte Kluft aus und wollte sie schon beiseite schleudern, als mir ein Gedanke kam. Der Reihe nach durchsuchte ich die wenigen nicht zerrissenen Taschen und fand endlich was ich suchte. Ich ließ das Amulett einige Male im hellen Kerzenschein pendeln. Das blutrote Funkeln des Steines in dem goldenen Kreuz übte einen hypnotischen Reiz auf mich aus. Mit einer Willensanstrengung riss ich mich los, warf meine alte Jacke weg und steckte das Amulett in die Innentasche von van Helsings Jacke, die ich dann überstreifte. Ich verstaute die Whiskey-Flasche in meinem Rucksack, warf denselben über die linke Schulter und verließ schnellen Schrittes die Kathedrale.

 

Ich trat aus der Tür, die lautlos hinter mir ins Schloss fiel, in die Nacht hinaus. Aufmerksam überblickte ich den großen Marktplatz, der vor mir im dämmrigen Nachtlicht lag. Da ich nichts Verdächtiges entdecken konnte, machte ich mich im Schatten der Gebäude auf den Weg, um den Marktplatz herum. Den Platz zu überqueren wagte ich nicht, zu auffällig schien mir meine einsame Gestalt in der Nacht. Nach einigen Metern wandte ich mich um, um einen Blick auf die Kathedrale zu werfen. Die Gargoylen auf den Zinnen schienen mir zähnefletschend nachzugrinsen, während sich die Türme stolz und unnahbar in den dunkelblauen Nachthimmel reckten. Ich spürte wieder dieses Gefühl der Kälte und Ablehnung. Ruckartig drehte ich mich um, und setzte meinen Weg in die Dunkelheit fort.

 

Allein auf van Helsings dürftige Wegbeschreibung angewiesen, hatte ich mich bald im Gewirr der engen, verwinkelten Straßen und Gassen der mittelalterlichen Altstadt verirrt. Ich war noch niemals vorher in diesen Vierteln unserer Stadt gewesen, denn das Leben tobte oben in der City, nur Alte und Versager gingen in die Altstadt. Nach mehreren Abzweigungen hatte ich völlig die Orientierung verloren und ging nur noch auf gut Glück weiter. Ich bog immer wieder um dunkle Ecken, nur um festzustellen, dass die Häuser noch älter und die Gassen noch schmaler wurden. Kaum war noch Platz für zwei, nebeneinander herzugehen. Die Eingänge der Häuser, oder besser Häuschen, waren tief in die Gebäude hineingezogen und bargen schattige Zufluchten. Mein Gang, bisher schon nicht zügig, wurde langsamer und misstrauisch lugte ich in jeden der Alkoven. Ich hatte nicht vor, mein Leben durch Selbstsicherheit und Unaufmerksamkeit zu verlieren. Trotzdem war ich sehr überrascht, als ich aus einer der dunklen Nischen heraus plötzlich einen harten Schlag auf die Stirn erhielt. Benommen taumelte ich rückwärts und kam erst an der gegenüberliegenden Hauswand zum Stehen. Ich schüttelte den Kopf und rieb mir die Augen. Der Nebel legte sich und ich sah zwei abgewrackte Gestalten aus der Nische hervortreten. Beide schlugen herausfordernd mit kurzen Eisenstangen in ihre Handflächen.

 

„Der sieht mir ganz nach einem Zwanziger aus, der feine Pinkel aus der City,“ nuschelte einer der beiden Penner zwischen fast zahnlosen Kiefern hervor.

 

„Lass dir einen Fünfziger geben, wenn er schon mal hier ist,“ gab der andere nicht minder zahnlos zurück, „hier sind ein paar Scheine locker zu machen.“

 

Diese beiden Jammergestalten schienen nicht zum Gefolge des Meisters zu gehören, sondern einfach armselige Wegelagerer zu sein, die auf ein paar leicht verdiente Scheine für Alkohol aus waren. Obwohl sie mir nicht wirklich gefährlich vorkamen, hatte ich doch keine Lust mich hier auf sinnlose Streitereien einzulassen.

Also sagte ich: „Lasst es uns kurz machen, Jungs. Ich gebe euch einen Zwanziger und ihr lasst mich in Ruhe weitergehen. Ich habe heute Nacht noch etwas zu erledigen.“

 

„Aha, das Bürschchen hat Angst,“ sprach der Zahnlosere, „wer so leicht Zwanzig rausgibt, ist auch für mehr gut.“ Er trat einen Schritt näher, drohend die Eisenstange schwingend.

 

Mir fiel ein, dass ich sowieso kein Geld dabei hatte, also bereitete ich mich auf die unausweichliche Auseinandersetzung vor. Einer kurzen Eingebung folgend, zog ich das Amulett aus meiner Innentasche und ließ es kurz vor den Augen der beiden Gestalten baumeln. Mit einer schnellen Handbewegung ließ ich es wieder in der Jackentasche verschwinden.

„Kennt ihr das, was sagt ihr dazu.“

 

Die Kerle erbleichten. Unerwartet warfen sie sich vor mir auf den Boden und begannen irgend etwas von Gnade, wir haben nicht gewusst und Meister verschone uns, zu faseln. Ich versuchte auf ihren Irrtum einzugehen.

„Verschwindet, ihr Penner, wenn ich euch in fünf Sekunden noch sehe, seid ihr tot.“ brüllte ich sie an.

Sie wandte sich um, und stürzten davon. Plötzlich packte der eine den anderen am Arm und hielt seine Flucht auf. Langsam drehte er sich um, und ich blickte in eine wutverzerrte Grimasse voller gefletschten Zahnfleisches.

 

„Der Kerl ist ein Betrüger,“ hörte ich die Fratze nuscheln, „keiner von des Meisters Schülern trägt sein Amulett in der Hand. Sie können es nicht abnehmen, ohne zu sterben.“

Beide kamen bedrohlich zurück und ließen ihre Eisenknüppel mit einer überraschenden Geschwindigkeit kreisen.

 

„Und, wie kommt dieses Schmuckstück in meine Hand,“ ich stellte die Frage so belanglos wie möglich, während ich im rückwärts gehen nach dem Griff meiner Klinge angelte.

Die beiden blickten sich unschlüssig an, kamen aber scheinbar doch zu dem Schluss, dass ich ein Hochstapler sei, und griffen urplötzlich und erstaunlich behende an. In einem vielfach eingeübten Bewegungsablauf, der so fließend erschien, dass er den abgewrackten Körper Lügen strafte, schlug der Linke einen gewaltigen Hieb in Richtung meiner Stirn. Während ich mühevoll diesen Schlag mit meinen beiden Unterarmen abwehrte, traf mich unerwartet und schmerzhaft ein Stoß des Anderen in die Kniekehlen, der mich abrupt und ohne Möglichkeit einer Abwehr auf den Rücken warf. Als lange eingespielte Kumpane hatten mich die beiden mühelos überwältigen können. Grinsend kam einer der beide näher, um mir den entscheidenden Hieb zu versetzen. Während er die Eisenstange über seinen Kopf hob, gelang mir der glückliche Griff über meine Schulter zu meiner Klinge im Rucksack und zischend zog ich sie aus ihrem Versteck. Die Spitze der Waffe zog einen blitzenden Kreis von meiner Schulter zur Brust des Angreifers und der im Schwung des Schlages befindliche Körper senkte sich langsam über das kalte Silber. Knirschend drang meine Klinge zwischen den Rippen ein und zitternd entfloh die Seele aus der ausgemergelten Gestalt. Ich warf den Körper zur Seite, zog meine Waffe mit einem Ruck an mich und sprang behende auf.

 

Der verbliebene Geselle vermisste eindeutig die lebendige Anwesenheit seines Kumpans und entschloß sich zur schnellen Flucht.

Mit elegantem Schwung zog ich einen meiner Holzpflöcke aus dem Rucksack und warf ihn der rennenden Gestalt hinterher. Statt den Kerl zielsicher durch den Stoff des Mantels an die nächste Wand zu nageln, schlug mein Wurfgeschoss ganz profan auf dem Hinterkopf des Flüchtenden auf und brachte ihn strauchelnd zu Fall. Hastig sprintete ich zu der sich am Boden wälzenden Gestalt, und stürzte mich auf den Kerl. Mit schnellen Bewegungen drehte ich ihm die Arme auf den Rücken, während ich seinen Oberkörper mit dem Knie auf das Pflaster presste. Langsam erwachte der Lump zum Leben und begann sich in meinem Griff zu winden. Ich packte die auf dem Pflaster abgelegte Klinge und drückte vorsichtig die Spitze an die Halsschlagader meines Opfers, während ich krampfhaft versucht, ihn mit meiner anderen Hand festzuhalten.

 

„Sprich dich aus, Freundchen, was weiß man hier über den Meister, ich würde ihn im übrigen gern mal kennenlernen. Kannst du mir vielleicht einen Termin vermitteln.“

 

Der Kerl begann zu stammeln, „Der Meister ist überall in der alten Stadt. Man kann ihm nicht entkommen. Jeder der gerne Leben will, muss sich gut mit ihm stellen. Jeder in der Nacht, der nicht zum Gefolge des Meisters gehört, ist ein Opfer. Die ganze Altstadt ist nachts in den Händen der Vampire. Jeder weiß das, und nur Eingeweihte oder Idioten aus der City wandern im Dunkeln herum.“ Seine letzten Worte verwandelten sich in ein böses Knurren und er begann sich stärker zu winden und an meinem Halt zu reißen. Ich drückte ihm die Schneide fester an die Kehle.

 

Der Mann hielt mich immer noch für irgendeinen City-Schnösel, der allein aus Abenteuersucht durch die Nacht spazierte. Nun gut, je weniger ich von meiner Identität preisgeben musste, desto besser war es für mich. Ich konnte nur hoffen, dass ich wenigstens noch diese oder vielleicht sogar noch die nächste Nacht unerkannt umherstreifen könnte. Ich schaute mich vorsichtig um. Die kleine Gasse lag zu beiden Seiten still vor mir, nur in der Richtung in welcher der verdrehte Leichnam lag, wurde die Ruhe der Nacht durch den von mir herbeigerufenen Tod gestört.

 

Der Kerl in meinem Griff benutzte meine Unaufmerksamkeit, um einen Befreiungsversuch zu unternehmen. Mit einer schnellen Bewegung drehte er seinen Oberkörper zur Seite, und versuchte gleichzeitig, mir die Klinge zu entreißen und mich wegzustoßen. Mehr reflexartig, denn aus geplanter Absicht stieß meine Hand die silberne Klinge durch die pulsierende Kehle des tobenden Mannes.

 

Ein gleißender Schwall spritzenden Blutes ergoß sich über mein Gesicht und meinen Oberkörper. Der Körper des Mannes zuckte lautlos in den Stößen seines ersterbenden Herzens und gab immer neue Schwälle seines einstigen Lebenssaftes von sich. Mein klarer Geist begann mich langsam zu verlassen. Der Anblick, der Geruch, ja selbst das Geräusch des fließenden Blutes begann meine Neuronen aus ihren gewohnten Bahnen zu werfen. All mein Verlangen, mein Begehren, meine Gier war aus einen kleinen Schluck dieses köstlichen Getränkes fixiert. Nur ein winzig kleiner Schluck, dann würde ich mich beherrschen und meiner Wege gehen. Nur ein Tropfen und ich war zufrieden. Ein kleiner Tropfen, was konnte daran schon schlimm sein. Ich würden mir die Lippen lecken und vergnügt davongehen. Nur  e i n  T  r  o  p  f  e  n...

Ich fiel auf die Knie und ließ den Rucksack von meiner Schulter gleiten. Mit einer beinahe übermenschlichen Anstrengung zog ich van Helsings Whiskey-Flasche aus dem Behältnis, entkorkte sie mühevoll und ließ mir das brennende Gebräu durch die Kehle rinnen, um den süßen verlockenden Duft des frischen Blutes zu vertreiben. Der ekelhafte Gestank des malzigen Alkohols kroch durch meinen Körper und würgend klappte ich zusammen. Heiß stieg mir die Magensäure empor und nur mit Mühe konnte ich den Brechreiz unterdrücken. Mein Hirn beruhigte sich wieder, doch sofort stieg mir wieder der süße, unwiderstehliche Duft frisch vergossenen Blutes in die Nase. Sofort hob ich trotz des Widerwillens die Flasche erneut an meinen Mund und trank, mich mit aller Gewalt beruhigend, mehrere tiefe Züge. Nunmehr schien ich die Krise überwunden zu haben und stand tiefatmend auf. Ich sammelte meine Siebensachen ein und begann schwankend den Ort dieses unglückseligen Geschehens zu verlassen.

 

Kurz war ich versucht, umzukehren und die Kehlen meiner Opfer nach Amuletten zu abzusuchen, aber die Gefahr, wieder in den Bann des süßen verräterischen Blutes zu geraten, hielt mich davon ab. Allem Anschein nach, schienen die zwei wirklich nur Penner zu sein, die vom geraubten Geld ahnungsloser Verirrter lebten, trotzdem irritierte mich die weitreichende Kenntnis über den Meister bei allen, die des Nachts unterwegs waren. Die Vampire mussten die Altstadt des Nachts vollständig beherrschen. Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit bis sie auf das tosende Nachtleben der City Anspruch erhoben. Sicher hatten sie längst vereinzelte Opfer aus den Menschenmengen herausgegriffen, ich hatte selbst unangenehme Erfahrungen dabei sammeln müssen. Aber die Zeit, in der auf meiner Stirn das Wort Opfer geschrieben stand, waren endgültig vorbei.

 

Durch dieses Erlebnis gewarnt bewegte ich mich nunmehr mit äußerster Vorsicht durch die Nacht. Nach mehreren Abzweigungen in kleine Seitengassen, die ich nunmehr mit äußerster Vorsicht betrat, gelangte ich mehr durch Zufall, als noch beabsichtigt zur kleinen unscheinbaren St.-Vincent Kapelle. Diese unterschied sich so unwesentlich von den sie umgebenden Gebäuden, dass ich um ein Haar vorbeigelaufen wäre. Nur das kleine, schmucklose Kreuz neben der Eingangstür angebracht, und darunter ein einfaches Namensschild, verrieten den besonderen Charakter dieses Gebäudes. Ich sah mich kurz in der Gasse um und klopfte beherzt an.

 

Nichts rührte sich.

 

Ich klopfte lauter.

 

Im Obergeschoss des Gebäudes öffnete sich ein winziges Fensterchen, aus dem sich ein Schwall Wasser und eine paar Knollen, die sich bei näherem Ansehen als Knoblauchzehen entpuppten, ergossen.

„Verschwindet, ihr Brut, hier habt ihr nichts verloren, das ist ein Ort Gottes.“ Eine zittrige hohe Stimme tönte aus dem kleinen Fenster, welches sich sofort darauf schloss.

 

Ich überlegte kurz, sah aber keine weitere Möglichkeit als mich lautstark zu erkennen zu geben.

 

„Lass mich rein, ich komme von van Helsing.“

 

Meine lauten Worte hatten zur Wirkung, dass in mehreren der umgebenden Häuschen Lichter aufflammten, und Silhouetten hinter den Fenstern umherhuschten.

Es vergingen nur wenige Sekunden, bis sich die Tür öffnete.

„Komm rein, du Idiot.“ bellte die Fistelstimme, und eine schmale faltige Hand zog mich durch den Eingang. Ich betrat einen Flur, der so dunkel war, dass selbst meine Nachtsicht mir nicht weiterhelfen konnte.

 

An der Tür begann ein wütendes Hämmern und Kreischen.

 

ZURÜCK