Hieroglyphen

 

Im Grunde waren es die Römer, die die ägyptische Schrift mit dem Wort „Hieroglyphen“ bezeichneten.  Diese Bezeichnung setzt sich aus den griechischen Silben „hieros“ (heilig) und „glyphein“ (einschneiden) zusammen und bezeichnete damit jene Schriften, die überall dort verwendet wurde, wo Texte aus feierlichem Anlass in Fels geschlagen oder Gräbern hinzugefügt wurden. Die Ägypter selbst nannten ihre Schrift „medou netjer“ (Wörter der Götter). Sie verehrten Thoth, den Gott der Schrift, als ihren Erfinder.

 

 

Entwicklung der Schrift

 

Vor ca. 2850 v. Chr. wurden Ober- und Unterägypten zu einem einheitlichen Staat zusammengeschlossen. Für die Verwaltung eines so großen Reiches waren Steuern, Verträge und Gesetze ebenso erforderlich wie für die Weitergabe von Befehlen, zum Festhalten von Ereignissen und Erkenntnissen aus den Wissenschaften. Eine Schrift entwickelte sich.

Man nimmt allgemein an, dass es sich zunächst um eine reine Bilderschrift handelte.

Eine Bilderschrift ist eine Schrift von Bildern, in der jedes Bild für ein Wort, einen Begriff oder sogar für einen Satz steht. Die Narmer-Palette beweist, dass die ägyptische Schrift tatsächlich eine Bilderschrift war, bevor sie sich zur Hieroglyphenschrift entwickelte. Bei der Narmer-Palette handelt es sich um einen Schieferstein, der als Schminkpalette für den vordynastischen König Narmer diente. Der Name des Königs ist darauf durch zwei Bilder dargestellt: durch einen Fisch „=nar“ und einem Meißel „=mer“. Durch diese Bilderschrift wurde der Name des Königs übermittelt. Diese ursprünglich recht einfache Schrift entwickelte sich bald weiter zur ausgetüftelten Hieroglyphenschrift.

 

 

Die Hieroglyphenschrift ist eine Art Druckschrift. Es gab aber auch eine Schreibschrift, die einfacher und schneller mit einem Pinsel auf Papyrus geschrieben wurde. Diese wird nach dem griechischen Wort „hieratikos“ (priesterlich) als hieratische Schrift bezeichnet. Die hieratische Schrift, die vor allem für religiöse Texte verwendet wurde, entwickelte sich immer weiter und ähnelte am Ende fast nicht mehr der ursprünglichen Bilder-Druckschrift. Die Zeichen wurden immer mehr verkürzt, bis daraus im 8. Jahrhundert vor Chr. schließlich eine flüssig schreibbare Schrift, die demotische Schrift (vom griechischen „demos“, also „Volk“) entstand. Diese demotische Schrift wurde vorwiegend für volkssprachige Texte, also Urkunden, Bücher und Texte der staatlichen Verwaltung verwendet. Hieroglyphen benutzte man weiterhin, meist jedoch für öffentliche Inschriften, z.B. um von Heldentaten der Pharaonen zu berichten, auf Denkmälern Ereignisse der Geschichte darzustellen oder um heilige Texte auf Wänden von Tempeln und Gräbern zu schreiben.

 

In der Zeit von 100 v. Chr. bis 100 n. Chr. übernahm das Römische Reich nach und nach die Herrschaft in Ägypten. Schließlich begann sich auch in Ägypten das Christentum auszubreiten, mit dem auch die griechische Schrift ins Land kam. Die ägyptische Schrift wurde nun mit griechischen Buchstaben geschrieben. Später verband sich die griechische Schrift mit der demotischen und wurde zu einer neuen Schrift, dem Koptischen.

Durch die römische Herrschaft und das Christentum verloren die ägyptischen Götter, die Priester und die Pharaonen immer mehr an Bedeutung. Im Jahre 392 n. Chr. befahl das Römische Reich die Schließung aller nichtchristlichen Gotteshäuser. So wurden die Hieroglyphen überflüssig und schon bald konnte sie niemand mehr lesen.

 

Am 1. Juli 1798 landeten Truppen Napoleons in Ägypten und eroberten Alexandria. Kurze Zeit später eroberten sie die Hauptstadt Ägyptens, Kairo. Napoleon hatte auch Wissenschaftler und Künstler in seinem Gefolge. Ihre Aufgabe bestand darin, Kunstschätze des Landes zu sammeln und Ruinen und Tempelanlagen aufzuzeichnen, um in Europa möglichst viel über diese alte Kultur berichten zu können. Motive aus der ägyptischen Kultur wurden in Europa schnell modern. Obelisken wurden in europäische Hauptstädte gebracht und das Motiv der Sphinx oft nachgebildet. So wurde auch bald das öffentliche Interesse an der alten hieroglyphischen Schrift geweckt, die jedoch zu dieser Zeit niemand mehr lesen konnte. Viele Wissenschaftler in Europa bemühten sich vergeblich, die Hieroglyphen zu entziffern. Der wohl Bedeutendste unter ihnen war Jean Francois Champollion.

 

 

Jean Francois Champollion

 

Jean Francois Champollion wurde am 23.12.1790 in Figeac, einer kleinen Stadt in Südfrankreich, geboren.

Der Mutter von Jean Francois ging es am Anfang des Jahres 1790 sehr schlecht. Sie war gelähmt und kein Arzt konnte ihr helfen. Da wandte sich das Ehepaar in seiner Verzweiflung an einen Heilkundigen, der den Ruf eines Zauberers hatte. Dieser behandelte die Frau mit Kräutern und sie erholte sich tatsächlich. Dieser „Zauberer“ prophezeite dem Ehepaar noch vor dem Ende des Jahres 1790 die Geburt eines Sohnes, der ein Wunderkind mit großer Begabung und „ein Licht kommender Jahrhunderte“ sein würde. Tatsächlich konnte Jean Francois bereits als Kind Texte, die seine Mutter ihm aus der Bibel vorlas, nach einmaligem Hören auswendig wiederholen. Das machte dem Vater Angst. So verbot er der Mutter weiteres Vorlesen. Sein Sohn sollte Buchhändler werden und in die Fußstapfen seines Vaters treten. Jean las dann heimlich in der Bibel, verglich das geschriebene mit dem gesprochenen Wort und stellte Unterschiede und Übereinstimmungen fest.

 

Jean Francois Champollion bekam zunächst Privatunterricht in seinem Elternhaus. Dann holte ihn sein älterer Bruder nach Grenoble. Da der Bruder gerne mit Napoleons Armee nach Ägypten gezogen wäre, aber nicht genommen wurde, abonnierte er eine Zeitschrift über Ägypten. In dieser Zeitschrift fand Jean Francois das Bild eines beschrifteten Steines, den französische Soldaten 1799 in der Nähe einer Stadt westlich des Nildeltas gefunden hatten. Der Name dieser Stadt war auf arabisch „Raschid“, übersetzt Rosette. Jean Francois Champollion nahm sich im Alter von 11 Jahren vor, die Hieroglyphen auf dem Stein zu entziffern.

 

So fing er an, Griechisch und Latein zu lernen. Mit 12 Jahren begann er sein Studium an der Akademie der Wissenschaften in Grenoble. Er studierte Sprachen, die nach seiner Meinung mit dem Ägyptischen verwandt sein konnten. So lernte er auch chinesisch. Mit 16 Jahren ging Jean Francois nach Paris und setzte sein Studium an der Akademie von Paris fort. Im Alter von 19 Jahren kehrte er als Professor nach Grenoble zurück, um dort an der Universität Geschichte zu lehren.

 

Wegen Spotlieder gegen die Bourbonen wurde er nach deren Wiederbesteigung des französischen Königsthrons nach Italien verbannt. Er wurde später jedoch begnadigt und konnte nach Frankreich zurückkehren. Dort arbeitete er weiter an der Entzifferung von Hieroglyphen, bis er endlich 1822 die Texte auf dem Stein von Rosette entschlüsseln konnte.

Von Juli 1828 bis September 1829 hielt sich Champollion in Ägypten auf, um weitere Inschriften in Tempeln und Pyramiden zu entziffern. Nach seiner Rückkehr erhielt er in Paris den Lehrstuhl für ägyptische Altertumsforschung.

Im Jahre 1832 starb Jean Francois Champollion.

 

 

Der Stein von Rosette

 

Beim Stein von Rosette handelt es sich um eine schwarze Granittafel von 1,14 m Höhe und 0,82 m Breite. Der Stein trägt eine Inschrift in drei verschiedenen Schriften. Ein Teil ist in Hieroglyphenschrift, ein Teil in demotischer Schrift und ein Teil in Griechisch verfasst. Es handelt sich bei diesen Texten um eine Danksagung der Priester von Memphis. Die Priester hatten damit dem Pharao Ptolemäus V. ihren Dank ausdrücken wollen, der ihnen immer wohlgesonnen war. Der Text wurde 196 v. Chr. auf die Tafel geschrieben. Die Hieroglyphen und die demotische Schrift konnte man lange Zeit nicht lesen. Daher wusste man auch nicht, dass es immer sich um den gleichen Text handelte.

 

 

Die Erforschung der Hieroglyphen

 

Neben Champollion gab es noch weitere Wissenschaftler, die sich mit der Erforschung der ägyptischen Schrift befassten:

 

Thomas Young (1773 bis 1829) war ein hervorragender englischer Physiker mit politischem Einfluss. Young vermutete als Erster, dass die Hieroglyphen Lautzeichen und nicht Zeichen für ganze Wörter sind. Er beschäftigte sich ein knappes Jahr mit dem Stein von Rosette, konnte jedoch die Schriften nicht entziffern.

 

Carsten Niebuhr war ein Däne, der in verschiedene Länder reiste, darunter auch Ägypten, und Schriften kopierte. Er arbeitete sehr sorgfältig und legte eine Tabelle von Hieroglyphen an. Diese Tabelle ist nach bildlichen, nicht nach lautsprachlichen Bedeutungen geordnet.

 

Der Däne Georg Zoega lebte in Rom und wurde vom Papst gefördert. Er beschäftigte sich ebenfalls mit der Erforschung Ägyptens und schrieb ein Buch über die ägyptische Kultur, Kunst und Geschichte. Ein großer Teil des Buches befasst sich mit den Hieroglyphen. Er vermutete, dass die hieroglyphischen Schriften historische Texte enthalten. In der Schrift treten oft ovale Ringe auf, die man als Kartuschen bezeichnet. Zoega glaubte, dass in den Kartuschen religiöse Beschwörungsformeln oder Eigennamen stehen. Obwohl Zoega sich sehr intensiv mit der ägyptischen Schrift befasste, gelang auch ihm die Entzifferung nicht.

 

 

Die Entzifferung der Hieroglyphen

 

Champollion ging bei seiner Arbeit davon aus, dass die Texte in den drei verschiedenen Schriften auf dem Stein von Rosette den gleichen Inhalt hatten. Er verglich die Wortlängen und -stellungen und zählte die Buchstaben bzw. die Zeichen. Der griechische Text hatte 486 Wörter, der ägyptische aber 1419 Hieroglyphen. Hätte jede Hieroglyphe ein Wort bedeutet, wäre der hieroglyphische Text viel länger als der griechische. Das hätte bedeutet, dass die Texte nicht den gleichen Inhalt hatten. Daraus schloss Champollion, dass die Hieroglyphen Zeichen für einzelne Laute waren.

Im griechischen Text gab es 10 Eigennamen, z.B. Alexander. Bei dem Vergleich dieser Eigennamen in der hieroglyphischen Schreibweise fiel Champollion auf, dass für gleiche Laute verschiedene Zeichen stehen konnten. Solche Gleichlaute, Homophone genannt, gibt es auch im Deutschen, z.B. fiel / viel. Auch hier stehen verschiedene Buchstaben für gleiche Laute.

Mit seiner Arbeit kam Champollion erheblich voran, nachdem er einen Papyrus erhielt, in dem der Name Kleopatra in demotischer Schrift stand. Diesen Namen übersetzte er mit seinen erworbenen Kenntnissen in Hieroglyphen. Er wusste zu dieser Zeit nur, wie Ptolemäus in Hieroglyphen geschrieben wurde. Den Namen Kleopatra hatte er noch nicht in Hieroglyphen gefunden.

Später wurde durch eine Inschrift auf einem Obelisken bewiesen, dass er die Übersetzung des Namens richtig vorgenommen hatte. Durch die Namen Ptolemäus und Kleopatra kannte Champillon nun fünf Zeichen.

 

1818 fand ein englischer Sammler mit dem Namen Bankes an der Wand eines Osiristempels eine Liste der Namen von Pharaonen, die zeitlich geordnet waren. Diese Liste wurde von Ramses dem Großen angelegt. Demzufolge endete die Reihe mit seinem Namen. Vier Jahre später erhielt Champollion eine Abschrift dieser Liste. Den Namen Ramses konnte er mühelos lesen. In der Kartusche stand über der Buchstabenverbindung für „mes“ die Sonnenscheibe als Zeichen für den Sonnengott Rah.

Dadurch, dass der Name Ramses feststand, gelang es ihm, die Namen weiterer Pharaonen und damit neue Buchstaben zu entziffern. Da es mehrere Pharaonen mit dem Namen Ramses gab, fand Champollion mehrere Schreibweisen des Namens. So arbeitete er weiter, bis er 1822 die Entzifferung der Hieroglyphen abgeschlossen hatte. In einem Brief an die Akademie Francaise gab er bekannt, wie er die Namen der Pharaonen lesen konnte. Er fügte eine Tabelle mit dem Alphabet der Hieroglyphen bei. Champollion behauptete jedoch, nur die Hieroglyphen in Eigennamen entziffern zu können.

Erst später stellte sich heraus, dass ihm bereits die Entzifferung aller Hieroglyphen geglückt war.

 

 

Die Bedeutung des geschriebenen Wortes

 

Dem geschriebenen Wort wurde große Macht zugeschrieben. Königsnamen wurden in ein Oval, die sogenannte Königskartusche, geschrieben, um sie zu schützen. Durch die Aneinanderreihung dieser Kartuschen entstanden Königslisten. Waren in diesen Listen Namen von Pharaonen enthalten, die die späteren Herrscher für nicht würdig genug befanden, so wurden diese Namen einfach entfernt. Dies bedeutete zusammen mit der Vernichtung aller betreffenden Tempel, Denkmäler und Bauwerke die völlige Auslöschung des Pharaos aus der Geschichte. So wurde auch der Name Echnatons aus dieser Königsliste entfernt, da man seine Ansichten nach der Rückkehr zum Amun-Kult für ketzerisch erklärte.

 

Namen von Verstorbenen wurden in Grabschriften oft wiederholt, weil man glaubte, einen Toten durch Aussprechen seines Namens wieder lebendig machen zu können.

Ihrer Macht wegen wurden Namen sorgfältig ausgewählt. Oft war darin ein Name eines Königs oder Gottes enthalten, z.B. Amenhotep (Amun ist zufrieden) oder Tutanchamun (Lebendes Abbild des Amun).

 

Nur etwa 1% der Bevölkerung beherrschte die hieroglyphische Schrift, da es vieler Jahre des Studiums in Priesterschulen bedurfte, um sie zu lernen. Die dieser Schrift kundigen Schreiber hatten stets wichtige Aufgaben in der Regierung und Verwaltung inne. Da das geschriebene Wort als mächtig galt, glaubte man, dass die Schreib- und Lesekundigen über besondere Kräfte verfügten. Der Vorleser in den Tempeln, der bei den Tempelzeremonien die religiösen Texte rezitierte, wurde als eine Art Zauberer betrachtet. Die in den Tempelritualen verwendeten Texte galten als Bücher des Gottes Thoth und wurden in Tempelbibliotheken aufbewahrt.

 

Als Schriftträger dienten Papyrus, Tafeln aus Kalkstein, Ton oder Holz und natürlich Stein. Da die Herstellung von Papyrus sehr aufwendig war, wurde es fast nur in der Verwaltung und in Tempelanlagen verwendet. Die Schüler benutzen im Unterricht Kalkstein-, Holz- oder Tontafeln. Die Ton- und Holztafeln wurden nach Gebrauch mit einer Kalkschicht versehen, damit sie weiter verwendet werden konnten. Kalksteintafeln wurden nach Gebrauch abgeschliffen.

 

 

Besonderheiten der hieroglyphischen Schrift

 

Die Hieroglyphenschrift besteht aus drei Zeichenarten: den Phonogrammen (sie stehen für die Laute), den Ideogrammen (sie stehen für ganze Wörter) und den Determinativen (Deutwörter).

Etwa zwei Drittel der Hieroglyphen sind Zeichen für Laute = Phonogramme. Daneben gibt es noch Deutzeichen und bildliche Zeichen für ganze Gegenstände oder Götter. Ein Deutzeichen ist z.B. das Bildzeichen für Mann. Es steht hinter lautlich geschriebenen Männernamen, um klarzustellen, dass es sich um den Namen eines Mannes handelt.

Die Götternamen wurden auf verschiedene Weise dargestellt: entweder durch die lautliche Darstellung oder durch Symbole, z.B. ein Schakalkopf für Anubis.

 

Die Entzifferung wurde auch dadurch erschwert, dass es verschiedene Zeichen für den gleichen Laut gab. Daneben gab es Zeichen, die für die Verbindung aus zwei oder drei Lauten standen. Außerdem wurden die Vokale oftmals nicht geschrieben, so dass ein Wort verschiedene Bedeutungen haben konnte. Rechtschreibregeln kannten die Ägypter nicht.

Eine feste Schreibrichtung gab es auch nicht. Hieroglyphen wurden mal von oben nach unten, mal von rechts nach links, mal von links nach rechts geschrieben. Satzzeichen kannte man nicht. Den Anfang einer Zeile erkennt man immer daran, dass Tier- oder Menschengestalten zum Anfang der Zeile blicken. Das heißt, dass bei einer nach links laufenden Schrift die Figuren nach rechts schauen.

 

Quellennachweis

Rudolf Majonica, Das Geheimnis der Hieroglyphen

Schrödel, Mensch und Umwelt

Johann Fletcher, Die Lebenswelt der alten Ägypter

 

© 2003 T. Rybka